55 Milliarden Euro für Europas Bauern: Wer bekommt pro Jahr wie viel – und wofür?

Agrarsubventionen gibt es seit den Anfängen der Europäischen Union. Die Unterstützung trifft aber nicht immer die, die es nötig hätten. Ein vereinfachter Blick auf komplexe Mechanismen – und auf die Lage der Landwirte in Baden-Württemberg.

Benno Stieber

Vor einigen Jahren machte ein Stillleben über den Brexit in den sozialen Medien die Runde. Das Foto zeigt einen Tisch, der in einer Ecke prall gefüllt ist mit Butter aus Irland, Nudeln aus Italien, Früchten aus Spanien, Käse aus Frankreich, Bier aus Deutschland … Der Fülle gegenüber, am anderen Tischende, steht einsam eine Dose Baked Beans, das britische Universallebensmittel Bohnen in Tomatensauce. Mit dem Brexit, so suggeriert das Bild, trennte sich Großbritannien von Europas reich gedeckter Tafel. Europa ist Vielfalt – gerade auch bei den Lebensmitteln. Um diesen kulinarischen Reichtum zu sichern, hält die Europäische Union eine gigantische Geldumverteilungsmaschine am Laufen. 55 Milliarden Euro, fast zwei Drittel der jährlichen Mitgliedsbeiträge der EU-Länder, stehen pro Jahr für Agrarsubventionen zur Verfügung. Diese Summe entspricht in etwa den kompletten Einnahmen und Ausgaben des Landes Baden-Württemberg in einem Jahr. Umgerechnet zahlt ein EU-Bürger oder eine EU-Bürgerin pro Tag 32 Cent für die Landwirtschaft, sagt der Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied. Das sind etwa 116 Euro im Jahr. Das Geld soll die sechs Millionen Landwirtinnen und Landwirte Europas entscheidend unterstützen. Nach Deutschland, das mit Frankreich und Spanien zu den größten Empfängerländern von Agrarsubventionen gehört, fließen im Jahr 2024 mehr als 6 Milliarden Euro.

 

 

Butterberge und Milchseen

 

Diese Megasubvention hat Gründe – und eine 65-jährige Geschichte. Der Zweite Weltkrieg hatte in Europa Millionen Not leidende Menschen hinterlassen. Sie mussten sicher und dauerhaft mit bezahlbaren Lebensmitteln versorgt werden. In den Römischen Verträgen von 1957 vereinbarten Italien, Frankreich, die Benelux-Staaten und die BRD – der Staatenverbund, aus dem später die Europäische Union entstand – eine Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Um die Lebensmittelproduktion zu steigern und den Verfall der Bodenpreise zu stoppen, wurden den Landwirten ab dem Jahr 1962 feste Preise für ihre Produkte garantiert – egal, wie viel sie davon auf den Markt brachten. Butterberge und Milchseen waren in den 1970er-Jahren die Folgen dieser subventionierten Überproduktion. Die überflüssigen Lebensmittel wurden in alle Welt verkauft und richteten schwere Schäden auf den regionalen Märkten im Globalen Süden an. Denn mit den subventionierten europäischen Waren konnten die dortigen Bauern nicht konkurrieren; zudem wurden auf Importe nach Europa Zölle erhoben.

 

Zeitweise machte der Agrartopf, der diese Planwirtschaft westlicher Machart fütterte, mehr als 90 Prozent des EU-Haushalts aus. Ab den 1990er-Jahren wurde dieses System schrittweise reformiert: Statt den Preisen sollten nun vorrangig die Einkommen der Betriebe gestützt werden, auch weil das Einkommen der Landwirte stagnierte. Vor allem aber machten die Freihandelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) aus Wettbewerbsgründen einen Systemwechsel notwendig; die EU trat der WTO 1995 bei. Größere Betriebe sollten nun entstehen, die effizienter produzieren und dadurch günstige Lebensmittel anbieten konnten.
 

 

Die zwei Säulen der Agrarpolitik

 

Heute werden die EU-Subventionen auf zwei Bereiche, die sogenannten Säulen, aufgeteilt. Wo früher die Preise für Milch, Getreide und Fleisch von der Europäischen Gemeinschaft gestützt wurden, erhalten die Bauern jetzt Direktzahlungen – in Form einer pauschalen Einkommensunterstützung, die fest an die Hektargröße ihres Betriebs gebunden ist. Diese Flächensubventionen bilden die erste Säule des EUAgrartopfs. Sie machen 70 Prozent der gesamten Agrarsubventionen aus und werden weitgehend unabhängig davon ausgezahlt, wie umweltfreundlich oder umweltschädlich die Landwirte arbeiten.

 

Aus der zweiten Säule werden ganz unterschiedliche Programme zur allgemeinen Entwicklung des ländlichen Raums finanziert, aber auch einzelbetriebliche Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz sowie zur artgerechten Tierhaltung gefördert. So unterstützt die EU Landwirte – direkt oder über nationale Programme der Mitgliedsländer – zum Beispiel dabei, die Böden nicht zu überdüngen oder auf Pestizide zu verzichten. Zusätzlich werden auch Aufgaben der Landschaftspflege gefördert, die verhindern, dass Flächen und Wege zuwachsen, auch wenn sie aktuell nicht genutzt werden. Für diese Aufgaben würden die Landwirte ohne die EU nicht vergütet werden, weil sie sich am Lebensmittelmarkt nicht refinanzieren lassen. Inzwischen sind auch die Direktzahlungen teilweise an ökologische Auflagen gekoppelt. Seit dem Jahr 2014 sind etwa 30 Prozent der Fördersumme aus der ersten Säule an Vorgaben geknüpft: Betriebe müssen zum Beispiel ökologische Vorrangflächen wie Blühstreifen ausweisen.

 

 

Wer hat, dem wird gegeben

 

Laut dem aktuellen Agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung erhielten Landwirte in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2021/22 im Durchschnitt knapp 48.000 Euro an Direktzahlungen und Zuschüssen, wobei die Direktzahlungen mit über 27.000 Euro dominierten. Hinzu kommen Zuschüsse von EU, Bund und Ländern. Auch Steuervergünstigungen wie die Befreiung von der Kfz-Steuer sind hierbei nicht berücksichtigt.

 

Die Schwächen des EU-Verteilungsmechanismus liegen auf der Hand. Grob gesagt, funktioniert er so: Wer viel hat, dem wird gegeben. Besonders stark profitieren große Agrarbetriebe, einfach weil sie die größten Flächen besitzen. Das führt zu einer völlig ungleichen Verteilung der EU-Subventionen, wie eine Recherche unter anderem von NDR, WDR, Correctiv und Süddeutsche Zeitung aus dem Dezember 2022 ergab: In den Jahren 2014 bis 2021 erhielt das oberste Prozent der deutschen Empfänger fast ein Viertel aller Subventionen, also mehr als 12 Milliarden Euro bzw. knapp 30.000 Euro pro Betrieb und Monat. An die gesamte untere Hälfte der kleinen landwirtschaftlichen Betriebe und Landwirte gingen zusammen weniger als 4 Milliarden oder 200 Euro pro Betrieb und Monat.

 

Für ihre Flächen zum Anbau von Zuckerrüben und Soja erhielt die Südzucker AG aus Mannheim im Jahr 2021 1,8 Millionen Euro. Aber auch gänzlich branchenfremde Unternehmen – wie das Pharmaunternehmen Merckle, der Rückversicherer Munich Re oder Aldi Nord – kommen in den Genuss der EU-Förderungen, weil sie über Holdings in Ackerland investiert haben, meist in Ostdeutschland. Solche Holdings bewirtschaften laut Statistischem Bundesamt mehr als elf Prozent der Agrarflächen in Deutschland. „Welche Berechtigung hat eine Flächenförderung, die oft gar nicht Landwirten zugutekommt, sondern Flächenbesitzern?“, kritisiert Peter Feindt, Professor für Agrar- und Ernährungspolitik an der Berliner Humboldt-Universität.

 

Feindt fordert wie viele andere Agrarfachleute, dass die EU künftig noch mehr Geld aus der pauschalen Flächenförderung umschichten müsse, und zwar dahin, wo bestimmte Leistungen, die dem Klimaschutz oder der artgerechten Aufzucht von Tieren dienen, gezielt gefördert werden können. „Die EU muss eine Übergangsphase für die Flächenprämien einläuten“, erklärt Feindt. Diese könne bis 2035 auslaufen. Dafür gibt es auch einen ganz pragmatischen Grund: die anstehenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine, auf deren Gebiet die größten Getreidefelder Europas liegen. Die dortige Landwirtschaft, betont Feindt, sei aus sich heraus wettbewerbsfähig. Eine pauschale Flächenförderung der entsprechenden Unternehmen würde den EU-Agrarmarkt vollkommen aus dem Gleichgewicht bringen.

 

 

Baden-Württemberg: kleine Betriebe, geringere Förderung

 

In Baden-Württemberg dominieren in der Landwirtschaft kleine Betriebe, die oft in unwegsamen Gebieten liegen. Großflächiger Ackerbau, der ebene Böden verlangt, ist selten vertreten. Knapp 37 Hektar beträgt die durchschnittliche Betriebsfläche im Südwesten; oft werden Höfe im Nebenerwerb betrieben und sind dann noch kleiner. In Mecklenburg-Vorpommern verfügen Landwirte laut Angaben des dortigen Statistischen Amts im Durchschnitt über 283 Hektar; deutschlandweit sind es 65 Hektar. Gerade kleine Höfe werden am wenigsten berücksichtigt, wenn es um die Flächenprämien aus Brüssel geht, obwohl die staatliche Unterstützung nach Angaben des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums 40 bis 60 Prozent ihrer Einnahmen ausmacht – bei Nebenerwerbsbetrieben sind es sogar bis zu 90 Prozent. Für kleine Betriebe bedeutet es auch deutlich mehr Aufwand, die Anforderungen in Bezug auf Bürokratie und Investitionen zu stemmen.

Die Bäuerinnen und Bauern in Baden- Württemberg belegen daher regelmäßig den letzten Platz im Einkommensranking der Bundesrepublik: Etwas mehr als 46.000 Euro nahm ein landwirtschaftlicher Betrieb in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2020/21 je Arbeitskraft ein; in Mecklenburg-Vorpommern, dem Land der landwirtschaftlichen Großbetriebe, waren es laut dem Bundesinformationsdienst Landwirtschaft im selben Zeitraum knapp 60.000 Euro. Ein Betrieb in Baden-Württemberg erhält dagegen durchschnittlich nur 35.000 Euro je Arbeitskraft. In der Branche ist es üblich, das Einkommen je Arbeitskraft anzugeben; damit ist der einzelne Landwirt gemeint, ohne dass die Arbeitszeiten anderer Familienmitarbeiter berücksichtigt werden.

Wie viel die einzelnen Bauern in Deutschland pro Jahr tatsächlich verdienen, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Das Einkommen variiert je nach Region und Betriebsform. Zudem spielen externe Faktoren eine große Rolle, etwa die Preise für Saatgut und Energie sowie das Wetter. So erwartet der Bauernverband 2024 wegen des extrem vielen Regens bei zu wenig Sonne eine „stark unterdurchschnittliche“ Getreideernte; gut sei das nasse Wetter hingegen „größtenteils“ für Zuckerrüben, Mais, Kartoffeln und Gemüse gewesen, sagt Bauernpräsident Rukwied. Die Saisons 2021/22 und 2022/23 waren indes Rekordjahre: Je Arbeitskraft betrug das Realeinkommen der im Haupterwerb geführten Familienbetriebe knapp 48.000 bzw. rund 63.000 Euro – das sind die höchsten Werte seit über einem Jahrzehnt (vgl. Grafik 5). Der Grund: Die Preise für Agrarprodukte stiegen laut Thünen-Institut stärker als die Kosten für die Betriebsmittel. Die höchsten Einkommen erzielten dabei die Ackerbauern.

 

Zukunft der EU-Förderpolitik

 

Um die protestierenden Bauern zu besänftigen, hat das EU-Parlament in diesem Jahr Änderungen am Verteilungsmechanismus beschlossen. Ökologische Auflagen bei der Flächenförderung wurden abgeschwächt, wobei sich die Auswirkungen erst in der Bewertung 2023/24 zeigen werden. Zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich hingegen angekündigt, den Green Deal fortführen zu wollen. Dessen Ziel ist es unter anderem, bis zu 25 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe bis zum Jahr 2030 auf ökologischen Landbau umzustellen. Der Wunsch der Bauern nach einem höheren EU-Agrarbudget ab 2028 wird sich indes wohl nicht erfüllen, schon allein, weil Großbritannien seit dem Brexit als großer EU-Nettozahler ausfällt. Im Grundsatz stünden auch die Bäuerinnen und Bauern hinter einer ökologischen Landwirtschaft, beteuert Bauernverbandpräsident Rukwied. Entscheidend sei aber, „dass sich die freiwilligen ökologischen Leistungen wirtschaftlich lohnen müssen“.

Auch nach über 60 Jahren geht es in der EU-Agrarpolitik immer noch um viel Geld, um einen möglichst reich gedeckten Tisch und um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen – also eigentlich um alles.

Weitere Informationen

Die Bundesregierung legt alle vier Jahre einen „Bericht über die Lage der Landwirtschaft“ vor. Der aktuelle Bericht stammt aus dem Jahr 2023. www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/agrarbericht.html