Frau Bohner, Sie sagen, der Klimawandel sei längst bei Ihnen in Bad Waldsee angekommen.
Marion Bohner: Wir erleben immer mehr extreme Wetterereignisse: Wassermassen, die in kurzer Zeit vom Himmel fallen, oder starke Hagelschläge. Auch wochenlange Trockenheit macht uns zu schaffen. Unsere Kühe kommen im Sommer auf die Weide und wir haben zum Teil große Probleme, sie ausreichend zu füttern, weil das Gras so trocken ist.
Christoph Trütken: Auch bei uns in Bad Dürrheim war keines der vergangenen drei Jahre normal. Erst zwei richtig heiße Sommer, in denen ich meine Kühe oft von der Weide in den schattigen Stall holen musste, und dieses Jahr das extrem nasse Frühjahr, in dem wir lange kein Heu machen konnten. Wir konnten erst zu einem Zeitpunkt anfangen, an dem wir normalerweise fertig sind: Mitte Juli.
Monja Oechsle: Man muss heute schon sehr auf Zack sein, um mit dem Wetter umgehen zu können. Früher hatten wir ein Zeitfenster von drei bis vier Tagen, in dem wir Heu machen konnten. Heute müssen wir das oft an einem Tag schaffen, weil sich schon der nächste Regenschauer ankündigt.
Christian Coenen: Ich komme von einem Betrieb aus der Nähe von Philipsburg, wo es nie viel geregnet hat; wir wissen also, wie man mit Trockenheit umgeht. Aber auch wir spüren, dass die Hitze- und Trockenperioden zunehmen. Starkregen, Hagel und Überschwemmungen gab es allerdings schon immer.
Herr Husemann, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit als Biologe auch mit den Auswirkungen des Klimawandels. Worauf werden sich Landwirte in Deutschland künftig einstellen müssen?
Martin Husemann: Vor allem auf noch mehr Extremwetterereignisse, sagen Klimaforschende. Durch die Erderwärmung werden Starkregenfälle häufiger, auch Dürren und Hagelschauer.
Sorgt man sich da als Bäuerin, als Bauer noch stärker um die Zukunft?
Coenen: Ein bisschen, aber mit dem Wetter komme ich schon klar. Was mir viel mehr Sorgen macht, sind Vorgaben der Politik.
Trütken: Das Klima macht mir schon mehr Angst als die Politik. Als Milchbauer bin ich darauf angewiesen, dass ich jedes Jahr genügend Heu für meine Tiere habe. Das hatte ich in den letzten zwei Jahren nicht. Es ist auch bekannt, dass Kühe nicht so hitzetolerant sind. Wenn es zu heiß wird, fressen sie weniger, geben weniger Milch und haben Stress.
Coenen: Aber Sie müssen ja auch Geld verdienen. Ich höre bei uns im Verband, dass auch große Betriebe um ihre Existenz kämpfen.
Trütken: Mein Einkommen schwankt mit meiner Futterernte, nicht mit der Politik.
Oechsle: Um das Klima mache ich mir weniger Sorgen; das kriegen wir schon in den Griff. Wir müssen vielleicht schneller schaffen, anders schaffen, neue Dinge ausprobieren.
Die Landwirtschaft leidet unter dem Klimawandel. Gleichzeitig trägt sie selbst dazu bei. Wie gehen Sie mit diesem Dilemma um?
Oechsle: Relativ gelassen; ich kann das ja nicht von heute auf morgen ändern. Das ist ein schleichender Prozess. Auch da muss jeder Betrieb seinen eigenen Weg finden.
Bohner: Bei dieser ganzen Emissionsgeschichte wird immer nur propagiert, was die Landwirtschaft an klimaschädlichen Gasen produziert. Aber was sie an positiven Effekten bringt, das wird selten erwähnt. Unsere Biokühe zum Beispiel schützen den Boden und damit das Klima.
Das müssen Sie erklären.
Bohner: Wir setzen auf Mob Grazing, das heißt, wir lassen das Gras hochwachsen und schicken relativ viele Kühe auf eine relativ kleine Fläche. Sie zertrampeln die eine Grashälfte und fressen die andere Hälfte. Nach spätestens einem Tag schicken wir sie auf die nächste Weide. So simulieren wir das natürliche Weideverhalten, das man bei wilden Herden in der Prärie beobachten kann. Dadurch, dass die Kühe unsere Weide nie ganz leer fressen, reagiert das Gras mit stärkerem Wurzelwachstum, was die Humusbildung fördert. So kann der Boden mehr Kohlenstoff speichern. Gleichzeitig kann die Sonne nie ganz auf den Boden scheinen und ihn austrocknen.
Husemann: Viel dramatischer als die klimatischen Folgen der Erderwärmung werden für die Landwirtschaft die biologischen Veränderungen sein. Es wird weniger einheimische Insekten geben, dafür mehr Schädlinge, die durch den Klimawandel und den globalisierten Welthandel einwandern und heimische Arten vertreiben könnten.
Warum ist das problematisch?
Husemann: Weil wilde Insekten eine wichtige Rolle bei der Bestäubung spielen. Indem sie die Pollen von Wild- und Nutzpflanzen transportieren, sichern sie die Pflanzenvielfalt und sorgen auch für bessere Qualitäten. Das sieht man vor allem im Obst- und Gemüseanbau. Wir wissen, dass sich die biologische Vielfalt verändern wird, aber wie genau, das ist derzeit viel schwieriger abzuschätzen als die relativ gut berechenbaren Auswirkungen auf das Klima.
Im Jahr 2017 hat eine deutsche Langzeitstudie, die Krefelder Studie, international für Aufsehen gesorgt. Demnach ist die Masse der Fluginsekten seit 1990 um mehr als 75 Prozent zurückgegangen. Woran liegt das?
Husemann: Da spielen sehr viele Dinge eine Rolle: Klimawandel, Infektionskrankheiten, Flächenversiegelung, Lichtverschmutzung, Straßenlärm – ganz viele kleinere Faktoren, die für sich genommen nicht die Effekte hätten, die wir sehen. Aber in der Summe wirken sie massiv. Ein großes Problem ist, dass der Lebensraum der Insekten zerstört wird. Vieles davon hängt mit der Landwirtschaft zusammen, weil intensiv bewirtschaftete Flächen einfach keine Artenvielfalt mehr haben. Das ist nicht die Schuld der Landwirte, sondern des Systems.
Inwiefern?
Husemann: Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass wir lange Zeit nur an hohe Produktivität gedacht und die Nachhaltigkeit außer Acht gelassen haben. Neben den Flächenverlusten spielen auch die Pestizide eine große Rolle – die wir allerdings noch nicht vollumfänglich verstehen. Wenn man sich die globalen Zahlen anschaut, sieht man aber, dass die extremen Insektenverluste alle mit der großflächigen Ausbringung von Neonicotinoiden zusammenhängen, also mit hochgefährlichen Pestiziden, die in der EU längst verboten sind.
Coenen: Wenn Pflanzenschutzmittel verboten werden, die uns und die Umwelt krank machen, verstehe ich das. Aber dann kann es doch nicht sein, dass wir Produkte aus Ländern importieren, in denen diese Mittel eingesetzt werden dürfen.
Husemann: Das sehe ich auch so. Im besten Fall werden die Mittel auch dort nicht mehr eingesetzt. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft ist schon genug Biodiversität verloren gegangen.
Martin Dieterich: Was wirklich ein Dilemma ist: Auch der Kampf gegen den Klimawandel setzt die Biodiversität unter Druck. Ich denke zum Beispiel an die Freiflächen-Photovoltaikanlagen (PV). Da werden Flächen, die eigentlich landwirtschaftlich genutzt wurden, zur Energiegewinnung eingesetzt. Das halte ich für sehr kurzsichtig, denn eigentlich bräuchten wir diese Flächen, um landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen und die Biodiversität zu erhalten. Wir können uns vieles leisten – nur nicht noch mehr Konkurrenz um die extrem begrenzte Ressource Boden.
Bohner: Bei den PV-Flächen werden auch ganz andere Pachtpreise gezahlt. In Baden-Württemberg haben wir ohnehin schon viele kleinteilige Flächen; da droht uns ein Hauen und Stechen unter den Pächtern. Hinzu kommt, dass wirklich gute Böden zugepflastert werden. In Brandenburg oder Mecklenburg- Vorpommern haben wir Flächen, die über kurz oder lang aus der Produktion fallen, weil es zu trocken ist. Im Voralpenland haben wir Flächen, wo es genug Wasser gibt. Und da werden jetzt PV-Anlagen drauf gebaut?
Husemann: Die sollte man viel stärker in die Städte auslagern, auf Flächen, die ohnehin schon versiegelt sind, auf Dächer. Da geht der Trend ja auch hin.
Dieterich: Nein! Der verbale Trend geht da hin. Der praktische Trend ist aber die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen, weil es da viel schneller mit geringeren Investitionskosten und damit höheren Erträgen vorangeht.
Trütken: Man darf aber nicht nur Photovoltaik betrachten, sondern auch die Biogasanlagen. Die verbrauchen ein Vielfaches an Fläche. Meiner Meinung nach ist es viel sinnvoller, einen Hektar für Photovoltaik zu nutzen als 30 Hektar Silomais für eine Biogasanlage.
Dieterich: Da stimme ich Ihnen grundsätzlich zu. Man muss aber auch im Hinterkopf behalten, dass Biogas als ein sehr attraktiver Energieträger gilt, weil es speicherbar ist.
Coenen: Und es bringt Dünger. Ich beliefere inzwischen zwei Biogasanlagen, und weil ich den Gärrest zurückbekomme, spare ich enorm an Düngemitteln ein.
Oechsle: So geht es uns auch mit unserer Biogasanlage.
Coenen: Was ich jetzt mal sagen muss: Ich beobachte hier gerade einen grundlegenden Fehler. Wir spielen immer das eine gegen das andere aus. Bio gegen konventionell, Biogas gegen Photovoltaik. Wir sollten einmal neue Wege gehen. In Frankreich werden zum Beispiel bei Aldi und Lidl großflächig Solarzellen über die Parkplätze gebaut. Wir haben bei uns in Philippsburg fünf Supermärkte und fünf riesige Parkplätze. Und was machen wir? Wir fangen jetzt an, PV auf die Baggerseen zu bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das für die Artenvielfalt gut ist.
Dieterich: Sie sind längst nicht der Einzige, der ein Umdenken fordert. Fakt ist aber: Das Billigste und Wirtschaftlichste wird gemacht. Bei Freiflächen-PV habe ich einfach mehr Ertrag pro Flächeneinheit. Hier ist die Politik gefordert, durch entsprechende Förderung oder Vergütung umzusteuern.
Herr Coenen, Frau Oechsle, Sie arbeiten wie fast 90 Prozent Ihrer Kolleginnen und Kollegen in Deutschland konventionell. Sie setzen also chemische Pflanzenschutz- und Düngemittel ein. Müssen Sie sich dafür oft Kritik anhören?
Coenen: Im Hofladen werde ich oft gefragt, warum wir nicht biologisch produzieren. Für mich ist es viel wichtiger, dass Produkte aus der Region kommen und saisonal sind. Auch wenn das Lebensmittel konventionell erzeugt wurde, ist es für mich mehr wert als das Bioprodukt aus Ägypten. Außerdem: Ich baue Kartoffeln an und die müssen gesund sein – ohne Pflanzenschutz wäre das in diesem Jahr nicht möglich gewesen.
Warum nicht?
Coenen: In diesem Frühjahr hat es auch bei uns viel geregnet. Weil der Boden so lange feucht war, hat sich bei mir, wie auch bei vielen anderen Landwirten, die Krautfäule ausgebreitet, ein Pilz, der die Kartoffelknollen faulen lässt. Wenn mir ein Biobauer zeigt, wie er das ohne Spritzmittel hinbekommen hat, dann stelle ich morgen um.
Oechsle: Auf meinem Instagram-Kanal ist das auch ein sehr großes Thema. Oft heißt es, wir würden unsere Produkte verpesten. Dann frage ich einfach zurück: Warum sollte ich denn die Lebensmittel verpesten, die ich selbst esse? Aber die meisten Leute haben Verständnis, wenn ich ihnen erkläre, wie wir wirtschaften. Dass wir nicht alles in Pestiziden ertränken, sondern sie mit Bedacht einsetzen und versuchen, sie so weit wie möglich zu vermeiden. Mein Mann hat vor ein paar Jahren angefangen zu striegeln und spritzt nur noch, wenn es nicht anders geht. Viele Leute wissen gar nicht, was wir spritzen. Wir haben zum Beispiel noch nie Glyphosat verwendet. Als mein Mann letztes Jahr durchs Maisfeld gefahren ist, hieß es: Was spritzt ihr jetzt schon wieder? Dabei hat er nur Gesteinsmehl gestreut. Es fehlt einfach an Aufklärung.
Herr Trütken, Sie haben beschlossen, überhaupt keine Pflanzenschutzmittel oder synthetische Dünger zu verwenden. Warum?
Trütken: Meine Eltern hatten einen Landhandel; die haben all das verkauft, was ich ablehne: Dünger, Spritzmittel, Unkrautvernichter. Als Kind musste ich Herbizide zwischen den Pflastersteinen verteilen, damit sie immer schön sauber waren. Ich habe mich später dagegen entschieden, weil synthetische Pestizide und Düngemittel die Umwelt belasten. Ich denke, dass es ohne geht, zwar momentan erst im kleinen Stil, aber wenn die Menschheit als Gesamtes umdenkt, dann geht es auch für alle. Grundsätzlich haben Landwirte nur eine Zukunft, wenn sie mit der Natur zusammenarbeiten.
Kommen Sie denn klar ohne Chemie?
Trütken: Ich habe bis vor Kurzem mein Getreide selbst ökologisch angebaut, jetzt kooperiere ich mit einem Bioland-Ackerbaubetrieb. Der baut Getreide in weiten Reihen an und hackt das Unkraut normalerweise. Das ging dieses Jahr nicht, weil der Boden zu feucht war, um ihn schonend zu bearbeiten. So hatte das Unkraut hervorragende Bedingungen, um sich zu entwickeln. Die Folge: Sowohl der Getreide- als auch der Strohertrag waren schlecht. Aber zum Glück hatte ich viel altes, holziges Heu geerntet, das zum Einstreuen eh besser geeignet ist als zum Füttern.
Oechsle: Aber wäre es dann nicht sinnvoll, den Mittelweg zu gehen und in einem solchen Jahr ausnahmsweise zu spritzen?
Trütken: Der Betrieb versucht jetzt, seine Anbautechnik zu verändern, und pflanzt das Getreide wieder enger. So hat das Unkraut weniger Platz, um sich auszubreiten. Dann dürfte das Problem eigentlich nicht mehr so groß sein. Im Ökolandbau müssen wir uns oft was Neues überlegen; wir versuchen, uns immer der Natur anzupassen.
Herr Dieterich, abseits der Diskussion um bio oder konventionell: Wo kann jeder Bauer, jede Bäuerin etwas tun, um das Artensterben auszubremsen?
Dieterich: Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass man im Ackerbau eher wenig für mehr Artenvielfalt tun kann. Aber ich finde, darin steckt auch eine gute Nachricht, denn wir brauchen die Äcker für die Produktivität. Schon heute importieren wir allein für unsere eigene Versorgung Agrarprodukte von rund 5,5 Millionen Hektar, vor allem Sojaschrot aus Brasilien und Getreide aus Polen. Dieser Anteil sollte eher kleiner statt größer werden – und dafür brauchen wir produktive heimische Äcker. Deshalb muss man auch den Ökolandbau differenziert betrachten. Es gibt Studien, die zeigen, dass der Ertrag von ökologisch angebautem Getreide nur etwa halb so hoch ist wie bei konventionellem Anbau. Trotzdem brauchen wir den Ökolandbau, wenn auch nicht auf 100 Prozent der Fläche.
Und wie sieht es im Grünland aus, also auf unseren Wiesen und Weiden?
Dieterich: Hier sind wir in Baden-Württemberg besonders gefordert. Innerhalb der EU haben wir noch die höchste Verbreitungsdichte von artenreichem Grünland. Diese Wiesen sind ein absolutes Kernsystem der Biodiversität in Mitteleuropa. In Niedersachsen gibt es solche Wiesen wegen der intensiven Bewirtschaftung gar nicht mehr; deshalb müssen wir sie hier bei uns unbedingt erhalten. Die Landwirte sollten versuchen, Heu oder Grünschnitt aus diesen Wiesen in ihre Futterrationen zu integrieren. Wir müssen aber auch bei den Strukturen ansetzen. Kleine Betriebe haben in der Regel weniger negativen Einfluss auf die Biodiversität als große. Wenn es viele kleine Betriebe gibt, wird viel variabler angebaut, was mehr Insekten eine Heimat bietet.
Husemann: Das Problem ist, dass es noch keinen strategischen, langfristigen Plan gibt. Naturschutz folgt bislang eher Trends. Anfangs waren Blühstreifen noch überhaupt nicht reguliert; da hat man irgendwelche Saaten hingeworfen – Hauptsache, es blüht was. Das hatte teilweise sogar gegenteilige Effekte.
Ingo Plessing setzt sich wieder zur Runde. Und Junglandwirt Daniel Arzt kommt neu dazu. Unterdessen hat Manfred Sommer die Runde verlassen. Es ist jetzt kurz nach halb vier; die Sonne wandert um den großen Walnussbaum, blinzelt durch die Blätter; eine schwarze Katze streunt herum. Wir schwenken langsam in Richtung Lösungssuche.
Herr Trütken, Sie versuchen, auf Ihren Äckern den Klimawandel auszubremsen, indem Sie CO2, das sonst in der Atmosphäre landen würde, in Form von Kohlenstoff im Boden anreichern.
Trütken: Ich mache das, weil ich mich für Neues interessiere und gerne Dinge ausprobiere. Und es funktioniert. In den Jahren von 2019 bis 2022 konnte ich gut 1.500 Tonnen CO2 SPEICHERN. Spezialisten hatten mit 300 Tonnen gerechnet. Dafür musste ich aber so gut wie jeden Zentimeter meines Hofes umkrempeln.