Reallabore sind kreative Testräume. Forschende suchen gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Fachleuten aus der Wirtschaft, aus Kommunen und aus Verbänden nach Lösungen für Zukunftsfragen. Statt Innovationen durch Bedenken und Regulierung auszubremsen, werden neue Ideen praktisch getestet. Die wissenschaftliche Perspektive trifft auf die Alltagsperspektive der Menschen, Labor trifft auf Realität, aus Theorie wird Praxis.
Reallabore werden eingerichtet, um komplexe Themen zu erforschen, die das Gemeinwohl betreffen. Themenbereiche, in denen die Methode erfolgreich eingesetzt wird, sind beispielsweise: Energiewende, Klimawandel, Mobilität, Stadtentwicklung und Künstliche Intelligenz.
Mehr als 20 Reallabore hat das Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg seit 2015 unterstützt. Eine Auswahl finden Sie unten.
Wie läuft das ab?
Jedes Reallabor besteht aus mehreren Teilprozessen:
Phase 1 Ko-Design – Ideen gemeinsam erarbeiten
Phase 2 Ko-Produktion – Innovationen erproben und weiterentwickeln
Phase 3 Ko-Evaluation – Ergebnisse bewerten und Politik verbessern
Die Phasen können gleichzeitig ablaufen und mehrere Feedback- und Lernschleifen beinhalten.
Was macht ein Reallabor aus?
1. Mitmachen statt ausbremsen
Reallabore wollen Menschen motivieren, ihre eigene Umwelt zu verändern und Wandel zu gestalten. Kreativität und Veränderungsbereitschaft entstehen auch aus der Zuversicht, etwas beisteuern zu können. Aus der Angst vor Veränderungen wird die Lust, etwas zu bewirken.
2. Kompetenzen bündeln
Die Herausforderungen werden von verschiedenen Seiten angegangen, um nicht an der Sache vorbeizuforschen. Das Know-how verschiedener Player fließt in die Prozesse ein. Reallabore sind nah an den Problemen der Menschen und greifen auf deren Kompetenzen zurück.
3. Ergebnisoffen experimentieren
Reallabore sind Freiräume, in denen sich Neues entwickeln und bewähren kann. Entscheidend ist, dass keine und keiner der Beteiligten weiß, was am Ende herauskommen wird. Fehler, Reibungen und Probleme nicht unter den Tisch zu kehren, gehört zu den Grundprinzipien.
4. Tatsächlich verändern
Oft endet Forschung mit Handlungsempfehlungen und dann passiert nichts mehr. In Reallaboren funktioniert es genau andersherum. Dort wird gleich gehandelt. Praktische Auswirkungen auf die Lebenswelt sind geradezu unvermeidbar.
5. Spielräume nutzen
Reallabore nutzen sogenannte „Experimentierklauseln“. Sie erlauben es, Zukunftstechnologien und neue Ideen unter echten Bedingungen zu testen, auch wenn dafür noch kein gültiger rechtlicher Rahmen vorhanden ist.
6. Langfristig denken
Um die nötige Infrastruktur aufzubauen und nachhaltige Ergebnisse zu liefern, sollte ein Reallabor eine möglichst lange Laufzeit haben. Im Umfeld der Reallabore entstehen Anlaufstellen und Arbeitsplätze.
7. Politik besser machen
Reallabore versorgen Behörden und Regierende mit Zahlen, Daten und Erkenntnissen, die Ordnungspolitik modernisieren können. Der Gesetzgeber kann durch Reallabore lernen, Gesetze besser zu gestalten.
8. Kritisch hinterfragen
Die Forschungsergebnisse werden dokumentiert, Wissen und Erfahrungen ausgetauscht. Lösungen können verworfen, überarbeitet, angepasst werden. Sollen sie sogar. Die wissenschaftliche Begleitung bietet die Möglichkeit, Projekte kritisch zu hinterfragen. Nach dem zeitlich und räumlich begrenzten Testlauf können die Ergebnisse skaliert werden.
R2-D2 in der Schule
Wie wollen wir mit humanoiden Robotern zusammenleben? Können sie Lehrkräfte unterstützen? Bei der Pflege kranker Menschen helfen? Im Reallabor Robotische Künstliche Intelligenz (2021 – 2025) wird das in vielfältigen Experimenten getestet. Im Alltag von Schulen, Kitas, Museen, in der Stadtbibliothek und im Krankenhaus. Das Ziel: das Bewusstsein für KI-Technologie zu schärfen und neue KI-Roboter zu entwickeln. Eine Zusammenarbeit des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) mit zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Lebenswerte Stadtquartiere
Welche Zukunft wünschen wir unseren Städten? Um große Fragen geht es im Forschungs- und Entwicklungsprojekt Quartier Zukunft – Reallabor Karlsruhe Oststadt (seit 2021). Unternehmen, Vereine und Institutionen bringen ihre Projektideen ein: von der Kleiderbörse über den Pflanzentausch bis hin zu Planspielen und Bürgercafés. Besonders richtungsweisend: Im gesamten Quartier werden sämtliche Energieströme erfasst, um eine smarte Energiewende vorzubereiten. Im Fokus stehen dynamische Stromtarife, eine optimierte Wärmeversorgung, Carsharing und eine Ladeinfrastruktur für E-Mobile, die auch eine Rückspeisung erlaubt. Das KIT koordiniert, moderiert und bewertet die Nachhaltigkeitsarbeit.
Startklar für autonomes Fahren
Wie kann die Vision autonom und vernetzt fahrender Autos Realität werden? Das Testfeld Autonomes Fahren Baden-Württemberg sucht darauf Antworten. Firmen und Forschungseinrichtungen können seit 2021 ihre Technologien und Dienstleistungen erproben – im Alltagsverkehr. Zum Beispiel mit automatisierten Autos, Bussen oder Nutzfahrzeugen etwa für die Straßenreinigung. Beteiligt am Reallabor sind unter anderem die Städte Karlsruhe, Bruchsal und Heilbronn, eine Vielzahl von Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie der Karlsruher Verkehrsverbund (KVV).
Unterwegs zu neuer Mobilität
Wie könnte eine Stadt aussehen, die rund um den Menschen gebaut ist – nicht rund ums Auto? Ausgerechnet die Autostadt Stuttgart hat das getestet. Hunderte Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und die Universität Stuttgart beteiligten sich in zahlreichen Teilprojekten am Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur (2014 – 2020). Sie verwandelten Parkplätze in Begegnungsräume, nutzten Lastenräder und Rikschas und prüften die Luftqualität vor ihrer Haustür. Sogar Schulkinder brachten ihre Perspektive ein. Was damals getestet wurde, ist heute teilweise Alltag: Die Umwidmung von Parkplätzen in öffentlichen Raum etwa ist inzwischen genehmigungsfähig und kann von Anwohnenden beantragt werden.
Der Wald der Zukunft
Was müssen wir tun, um unsere Wälder auch in Zukunft bewirtschaften zu können und diesen wertvollen Lebens- und Freizeitraum zu schützen? Schon jetzt setzt der Klimawandel den Wäldern massiv zu. Die Folgen: Baumsterben, Maikäferplagen und die Ausbreitung invasiver Pflanzen. Besonders stark von Hitze und Trockenheit betroffen ist die Region Oberrhein. Im Projekt WaldlabOR (2023 – 2028) erproben Forschende gemeinsam mit Akteuren aus der Praxis Gegenmaßnahmen. Eine Zusammenarbeit der Albert Ludwigs-Universität Freiburg, der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt und des Landkreises Karlsruhe.
NeuLand betreten
Was bremst Nachhaltigkeitsprozesse aus? Das erfährt man am besten im praktischen Versuch. Das Projekt Klima-RT-LAB (2. Phase bis 2026) unterstützt den Weg der Stadt Reutlingen zur Klimaneutralität. Tandemteams aus Forschung, Verwaltung und Unternehmen testen unter anderem das Potenzial lokaler, erneuerbarer Wärmequellen, die dezentrale Erzeugung von Strom in öffentlichen Gebäuden und die Sanierung des städtischen Gebäudebestands. Auch die Hochschule für Technik Stuttgart erprobt mit Unterstützung der Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg in ihrem Reallabor NeuLand, wie der Campus seine Emissionen langfristig reduzieren kann und welche Hürden es zu überwinden gilt.