Baden-Württemberg gilt als eine der innovativsten Regionen weltweit. Trotzdem fürchten manche, der Südwesten könne bei wichtigen Zukunftstechnologien abgehängt werden.
Hölzle: Es gibt zahlreiche sehr starke Innovationsökosysteme im Land: Freiburg und Offenburg, Karlsruhe und Heidelberg, Stuttgart und Ulm oder der Nordschwarzwald. Was mir fehlt und wofür ich als Technologiebeauftragte eintrete, ist der Zusammenschluss dieser Systeme. Bisher konkurriert man zu oft um Förderungen, Aufträge und Talente. Dabei sollten wir an einem Strang ziehen. Einzelkämpfertum funktioniert nicht mehr bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI), Robotik oder Quantencomputern.
Ein starker Fokus der Wirtschaftsförderung im Südwesten liegt auf der Methode Reallabor, die Wissenschaft, Gesellschaft und Unternehmen eng kooperieren lässt.
Hölzle: Ja, das habe ich schnell gelernt, als ich vor knapp drei Jahren nach Baden-Württemberg kam. Der Ansatz hier ist einzigartig: egalitär, breit gefächert und menschzentriert. Reallabore sind ein sehr geeignetes Instrument des Lernens und Austestens. Wir brauchen das mehr denn je.
Inwiefern?
Hölzle: Wir erleben gerade ein Revival der Diktaturen und das gibt es durchaus auch in der Wirtschaft. Ich aber glaube zutiefst an das europäische, partizipative Modell. Warum? Bei der Umsetzung von Innovationen, egal, ob es um Prozesse, Produkte oder Organisation geht, kommt es immer darauf an, dass der Mensch sie auch wirklich annimmt. Wenn wir die Gesellschaft von Anfang an mitdenken, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass Veränderung stattfindet.
Firmen in der EU müssen ihre KI-Systeme seit Februar nach einem Risikograd bewerten. KI-Modelle etwa, die das soziale Verhalten von Menschen bewerten, sind verboten.
Hölzle Das KI-Gesetz, der sogenannte AI Act der EU, ist vom Prinzip her etwas sehr Gutes, weil es den europäischen gesellschaftsorientierten Ansatz abbildet. Leider ist im Bestreben, es allen recht zu machen, wieder einmal ein Bürokratiemonster entstanden. Also genau das Gegenteil von dem, was Reallabore wollen: nämlich Dinge erst mal auszuprobieren. Ich glaube an die Kraft gemeinsam entwickelter Innovationen in Europa.
Wie stehen die Chancen dafür?
Hölzle: Sehr gut. Aber dafür müssen wir kooperieren und bereit sein, unsere Daten in einen Pool zu werfen. Die Bereitschaft insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen dazu ist leider häufig sehr gering. Es herrschen Ängste vor Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Es findet kaum gemeinsames Entwickeln statt. DeepSeek, das jüngst in China entwickelte KI-Modell, hat gezeigt, dass schlanke Modelle leistungsstark und wettbewerbsfähig sein können. In Deutschland haben wir ähnliche KI-Modelle. Werden wir damit den Endkonsumenten erreichen, wie ChatGPT das schafft? Nein, das müssen wir aber auch nicht. Wir brauchen jetzt industrielle und praktische Anwendungen.
Wie optimistisch sind Sie, dass sich in Deutschland eine starke KI-Branche entwickelt?
Hölzle: Es gibt kaum ein Land der Welt, das so viel Geld in Forschung investiert. Leider verlieren wir Tag für Tag Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, weil die großen Tech-Konzerne in den USA ihnen eine bessere Infrastruktur bieten. Dabei würden viele lieber in Deutschland bleiben, eben weil wir demokratische Werte vertreten. Wenn wir es schaffen, unsere Bürokratie zu verkleinern und einfach mal zu machen, werden wir sehr bald jede Menge Erfolgsmeldungen hören.
Derzeit ist oft die Rede davon, dass den Menschen zu viel Veränderung zugemutet werde, was zu einem Unbehagen gegenüber Politik führe. Kann es sein, dass gleichzeitig auch zu wenig Innovationsfreude die Leute frustriert?
Hölzle:Geht es in einem Land 80 Jahre lang bergauf, werden Menschen zu Meistern der Stabilität. Innovation lieber nur in ganz kleinen Schritten. Diejenigen, die den Status quo hinterfragen, neu und anders denken, werden ausgehungert. Das gilt auch für das Bildungssystem. Die braven Fleißigen haben Erfolg, die lauten Anstrengenden nicht. Jetzt stehen wir aber an einem Punkt, der große Veränderungen erfordert. Wir haben es mit einer neuen Weltordnung zu tun, wir müssen radikal umdenken. Da heißt es: hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen. Das haben wir aber nicht gelernt.
Es wird also unbequemer werden?
Hölzle: Zumindest eine gewisse Zeit lang. Aber eine Herausforderung zu bestehen, erfüllt einen mit Stolz – und dann wird das Leben auch wieder besser werden.