Bauernschlau für Menschenrechte

Vor 500 Jahren begann im deutschen Südwesten mit dem Bauernkrieg eine Pionierbewegung der Protestkultur. Die Herrschenden beschimpften die Aufrührerischen als „böse Buben“. Dabei kämpften diese für Menschenund Freiheitsrechte. Der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen – und doch wirkt er bis heute nach.

André Boße

Wo Hans Müller von Bulgenbach auftauchte, gab’s für die Herrschenden Ärger. Nicht um des Ärgers willen: Seine Mission war es, das Leben der Leute auf dem Land zu verbessern. Im Juni 1524 trieb er sich in Stühlingen herum, im Süden des heutigen Baden-Württemberg, direkt an der Grenze zur Schweiz. Die Bauern dort hatten sich gegen die Landgrafen erhoben, die selbstherrlich oben auf Schloss Hohenlupfen residierten. Und weil es für jeden Aufruhr jemanden braucht, der das Kommando übernimmt, ernannten sie Müller zu ihrem Hauptmann. Stattlich soll er gewesen sein, redegewandt. Und militärische Erfahrung besaß er auch: Als Landsknecht hatte er für den Kaiser in Frankreich gekämpft. Kaum hatte Hans Müller seinem Stühlinger Haufen – nicht despektierlich gemeint, sondern im Sinne eines militärischen Verbands – eine gewisse Ordnung verpasst, zog er weiter, um neue Aufrührerische zu gewinnen. Laut Chronik ging es Richtung Osten nach Waldshut, nach Norden bis ins Brigachtal bei Villingen, nach Löffingen und Radolfzell am Bodensee, schließlich in die Stadt Freiburg, die Müller und seine Leute im Handstreich einnahmen. Sobald er irgendwo Station machte, versammelten sich die Aufständischen und die Herrschenden bibberten. Letztere sahen in Hans Müller einen „bösen, aufrührerischen Buben“. Für die Bauern im heutigen Südwesten Deutschlands war er Kopf und Herz eines Aufstands, der in Dörfern und Kleinstädten begann – und der im Bauernkrieg mündete, in dem geschätzt 70.000 Menschen ihr Leben lassen sollten.

 

Der größte Aufstand, den Europa vor der Französischen Revolution erlebt hat, endete blutig. Im Jahr 1525 wurde Jäcklein Rohrbach, einer der Bauernführer, in Neckargartach bei lebendigem Leib verbrannt. Der Ort liegt in der Nähe der heutigen Stadt Heilbronn. Tausende andere Aufständische wurden damals erschlagen oder erstochen, gefoltert oder gehenkt.

Vom Schneckenstreit zum Aufstand

 

Wie konnte es so weit kommen? Ein Anruf bei Dr. Marco Veronesi, Historiker und Kurator der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg zum Thema „500 Jahre Bauernkrieg“. Er sagt, akute Armut sei eher nicht der Auslöser für den Deutschen Bauernkrieg gewesen. „Es gibt keine Belege für Missernten oder Hungersnöte.“ Zwar waren die Bauern größtenteils Leibeigene, doch „sie gaben sich selbstbewusst und wussten um ihren Stand“. Veronesi verweist auf Quellen, die besagen, dass die Bauern damals vor allem auf die Einhaltung von Abmachungen pochten, zum Beispiel bei den Abgaben, die sie zu leisten hatten. Zorn entstand, sobald die Bauern merkten, dass die Feudalherren ihre Versprechen nicht einhielten und etwa willkürlich hohe Steuern verlangten, erklärt Veronesi. Die Wut schwelte. Was es in solchen Situationen für einen Flächenbrand braucht, ist ein Funke. Und den löste in Stühlingen die Gräfin oben im Schloss Hohenlupfen höchstpersönlich aus. Sie verlangte mitten in der Erntezeit Schneckenhäuschen – ohne die Schnecken selbstverständlich. Die leeren Häuschen sollten von den Mägden oben im Schloss zum Aufwickeln von Garn genutzt werden. Ob es diesen Befehl wirklich gegeben hat oder ob aus einem Schneckenhaus ein Elefant gemacht wurde, um den Aufruhr weiter anzustacheln, lässt sich nicht verifizieren. Belegt ist, dass ab Juni 1524 aus einzelnen Protesten heraus eine Bewegung entstand.

 

16. April 1525: Der Kommandant der Festung Weinsberg, Graf Ludwig von Helfenstein, ergibt sich dem Neckartal-Odenwälder Bauernheer. Das Ölgemälde stammt vom deutschen Maler Fritz Neuhaus (1852–1922), der es im Jahr 1879 angefertigt hat.

Das Volk fordert Menschenrechte

 

Angeführt von Leuten wie Hans Müller von Bulgenbach zeigten die Bauern ein Händchen dafür, sich die richtigen Experten an ihre Seite zu holen, nicht zuletzt auch rechtlichen Beistand: Es gab im Zuge des Aufruhrs einige Prozesse, bei denen die Bauern mithilfe von Juristen ihr Recht einklagten. In größeren Städten wie Memmingen oder Stuttgart wiederum suchten sie die Nähe reformatorisch beeinflusster Theologen. Mit ihrer Hilfe entstanden Manifeste, in denen die Bauern ihre zentralen Forderungen zusammenfassten. Das berühmteste von ihnen sind die „Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“, niedergeschrieben 1525 in Memmingen. Liest man die zwölf Punkte, ist man erstaunt, wie konstruktiv hier zentrale Forderungen nach Menschenrechten, Teilhabe und Kirchenreformation zusammengebracht werden. Sogar den Pfarrer sollte man abwählen dürfen, wenn der sich ungebührlich verhielt. „In den Zwölf Artikeln“, sagt Historiker Veronesi, „steckt der reformatorische Geist von Martin Luther und des Schweizer Predigers Huldrych Zwingli.“ Noch hundert Jahre zuvor wäre ein solches Schreiben wohl in den Bibliotheken der Klöster versackt. Da aber Johannes Gutenberg um 1440 den Buchdruck erfunden hatte, machten die „Zwölf Artikel“ und andere Schreiben die Runde. Die Auflagen gingen in die Tausende; als Flugblätter kamen sie rasend schnell in Umlauf und erreichten auch die kleinsten Dörfer. Auf diese Weise fanden die Aufständischen eine gemeinsame Sprache – bis heute eine Voraussetzung dafür, dass sich aus einzelnen aufrührerischen Momenten ein Massenprotest entwickelt, so Veronesi.

Georg III. von Waldburg-Zeil, besser bekannt als „Bauernjörg“, hat den Aufstand für die Privilegierten niedergeschlagen.

 

Die Bauernproteste von heute

 

Heute zählt Demonstrieren zu den Grundrechten in einer Demokratie. Als im Winter 2023/24 die Landwirte mit ihren Traktoren auf die Straße gingen, bezogen sich nicht wenige von ihnen auf die aufrührerischen Kollegen vor 500 Jahren. Zu Recht? Marco Veronesi differenziert: „Die Bauern stellten sich damals nicht nur gegen einzelne Maßnahmen oder die Willkür der Herrschenden. Sie formulierten auch sehr konkrete, allgemeine Menschenrechte.“ Hinzu kommt, dass die Bauern damals einen Anteil von 95 Prozent der Bevölkerung ausmachten. „Sie sprachen daher für die große Mehrheit.“ Beim Protest der Landwirte heute gehe es dagegen vor allem um die Interessen dieser Berufsgruppe. Derzeit sind in Deutschland knapp eine Million Menschen in der Landwirtschaft tätig – rund zwei Prozent aller Erwerbstätigen.

 

Das Titelblatt der „Zwölf Artikel“ aus dem Jahr 1525: Bald war vom politischen Programm der Bauern im ganzen Land die Rede, bis an die Nordseeküste. Sogar am Hofe des englischen Königs in London sprach man darüber.

Das blutige Ende des Bauernkriegs

 

Beendet wurde der Bauernkrieg 1525 mit Gewalt. Es kam zu Schlachten, und am Ende besiegten die Truppen des Schwäbischen Bundes Haufen für Haufen. Eine wichtige Rolle spielte dabei Georg III. von Waldburg-Zeil. Sein Spitzname „Bauernjörg“ – Jörg ist eine beliebte Abkürzung für Georg – klang harmlos, doch er war bald als „Schlächter der Bauern“ bekannt. Der Oberste Feldhauptmann der Bundestruppen ging drakonisch gegen die Aufständischen vor. Tausende Bauern ließ Georg regelrecht niedermetzeln. Gefangene wurden gefoltert, gehenkt, verbrannt oder gevierteilt. Die finale Niederlage erlitten die Bauern im November 1525 in Stühlingen, wo alles begonnen hatte. Hans Müller von Bulgenbach lebte da schon nicht mehr; der „böse Bube“ war bereits im August 1525 „stehend mit dem Schwert“ hingerichtet worden, wie es in den Chroniken geschrieben steht. Zudem kam es vonseiten einiger Herrschenden zu brutalen Rachefeldzügen, bei denen es auch anderen Rädelsführern an den Kragen ging. Georg III. von Waldburg- Zeil, der „Schlächter der Bauern“, wurde indes von Kaiser Karl V. mit dem Titel „Reichserbtruchsess“ belohnt. War also alles umsonst gewesen? Nicht, wenn man bedenkt, dass schon bald die Feudalherren und die Bauern in neue Verhandlungen eintraten. In der Folge wurde die Leibeigenschaft vielfach zumindest abgemildert. Rund 250 Jahre später griff dann eine neue Generation auf der anderen Seite des Rheins die Argumente der Bauern auf. Dabei gelang es den französischen Revolutionären, ihr Ansinnen auf eine griffige Formel zu bringen: „Liberté, egalité, fraternité!“ – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
 

Aus der Stiftung – Gesellschaft & Kultur

500 JAHRE BAUERNKRIEG: LANDESAUSSTELLUNG 2024/25

Baden-Württemberg würdigt die Errungenschaften der Aufrührerischen in der Großen Landesausstellung „500 Jahre Bauernkrieg“, die auch von der Baden-Württemberg Stiftung finanziell gefördert wird. Nach einer Mitmachausstellung im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart ab Oktober 2024 beginnt im April 2025 eine kulturhistorische Ausstellung im Kloster Schussenried. Auch digitale und mobile Formate sind geplant. Unter dem Motto „UFFRUR! … on the road“ zieht eine mobile Ausstellung ab Mai 2025 dorthin, wo der Aufruhr entstand – in die Orte der Regionen vom Bodenseeraum über Oberschwaben, den Schwarzwald und das Neckartal bis nach Hohenlohe und Tauberfranken.

www.bauernkrieg-bw.de