Frau Bohner, Sie haben viel Arbeit und wenig Urlaub. Sind Sie trotzdem gerne Landwirtin?
Marion Bohner: Ja. Als Landwirtin arbeite ich selbstbestimmt, trotz der vielen gesetzlichen Vorgaben. Die Arbeit ist sehr familienfreundlich. Wir essen dreimal am Tag gemeinsam. Wer kann das schon? Und die Nähe zu Natur und Tier ist unschlagbar.
Das Verhältnis zu Teilen der Gesellschaft ist allerdings getrübt.
Bohner: Vielen Menschen ist einfach nicht mehr bewusst, dass die Landwirte für unser aller täglich Brot sorgen. Für die meisten kommt die Nahrung heute einfach aus dem Supermarkt. Deshalb entstehen Missverständnisse, Unmut und diese Entfremdung.
Monja Oechsle: Wir Milchbauern zum Beispiel kämpfen mit dem Vorurteil, Tierquäler zu sein. Ich behaupte jetzt mal: Viele Leute, die mir auf Instagram schreiben, waren noch nie in einem Laufstall. Unsere Kühe können sich frei bewegen und ihre Boxen sind größer als vorgegeben. Ein Großteil der Herde kommt freiwillig in den Melkstand; es gibt keinen Zwang. Und unsere Kühe bekommen auch frisches Gras zu fressen, obwohl wir keine Weide haben. Unsere Kühe sind gesund und glücklich – soweit ich das sehen kann. Einige kommen sogar zum Schmusen, wenn sie mich hören. Aber ein differenziertes Bild von Landwirtschaft ist eben schwer zu vermitteln.
Manfred Sommer: Und wir bekommen viel zu wenig Wertschätzung für unsere Arbeit. Landwirt ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Mein Vater hat 1961 mit der Schweinezucht angefangen; 1970 haben wir dann am Ortsrand eine neue Hofstelle gebaut. Es ging immer bergauf, bis zur Jahrtausendwende. Seitdem geht es nur noch bergab, und zwar ziemlich schnell. Die Zahl der Schweine und der Zucht- und Mastbetriebe in Baden-Württemberg hat rapide abgenommen. Die hohen Investitionen in neue Ställe, neue Vorschriften und Tierwohlvorgaben machen uns das Leben schwer. Aber Konsumenten haben keine Vorstellung von der Situation auf den Höfen.
Dabei wollen laut Umfragen 92 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten wissen, wie das Tier gelebt hat, dessen Milch, Fleisch oder Eier sie kaufen.
Monja Oechsle lacht laut auf, als die Prozentzahl genannt wird. Man spürt sofort, wie intensiv das Thema Tierwohl die Landwirtinnen und Landwirte umtreibt.
Frau Oechsle, glauben Sie nicht, dass die meisten Menschen mehr Tierwohl wollen?
Oechsle: Doch, nur bezweifle ich, dass diese 92 Prozent auch bereit wären, einen höheren Preis für eine bessere Haltungsform zu bezahlen. Die Leute fordern immer alles Mögliche von uns Bauern – am besten sollten die Kühe den ganzen Tag lang auf einer grünen Wiese gestreichelt werden. Die Menschen wollen eine Bullerbü-Idylle. Aber wenn die Packung Milch dann zwei Euro kostet, greifen die meisten zur billigeren Alternative. Das finde ich frech. Wenn wir etwas ändern wollen, gehören zwei Seiten dazu. Nicht jeder kann seinen Stall umbauen – für die drei Prozent der Bevölkerung, die im Hofladen oder in den Dorfmetzgereien einkaufen und zur Milchtankstelle gehen. Die meisten wollen bei ihrem Wocheneinkauf nicht über 100 Euro kommen und greifen dann doch zum Hackfleisch im Supersonderangebot.
Auf Fleischpackungen im Handel wird die Haltungsform der Tiere angegeben. Diese Angabe war bisher freiwillig; demnächst wird sie beim Fleisch aber verpflichtend sein. Zunächst gilt das nur für Schweinefleisch. Bringt das mehr Tierwohl?
Ingo Plessing: Es gibt ja bereits einen großen Dschungel an Tierwohllabels. Vielleicht werden die Informationen durch diese Initiative einheitlicher. Aber wie aussagekräftig das ist, muss sich noch herausstellen. Die Kriterien, um die es beim Haltungslabel geht, beziehen sich stark auf den Stall und das Platzangebot für die Tiere. Aber viele Aspekte, die für das Tierwohl eine Rolle spielen, kommen nicht vor. Ein großes Problem sind etwa die auf Höchstleistung gezüchteten Rassen, die in vielen Fällen generell an gesundheitlichen Problemen oder ständigen körperlichen Qualen leiden.
Was könnte stattdessen für mehr Tierwohl sorgen?
Plessing: Das Ideal wäre, dass ich wirklich weiß, wie die Produkte, die ich konsumiere, erzeugt wurden. Sprich: Ich habe einen Bezug zu den Landwirten in meiner Umgebung und benötige gar keine Supermarktverpackung aus Plastik, die mit einer Vielzahl an Labeln geschmückt ist. Leider haben viele Menschen, besonders in den Städten, nicht die Möglichkeit, diesen Bezug zu ihren Lebensmitteln herzustellen.
Viele Ergebnisse aus der Tierforschung belegen, dass Tiere intelligenter sind, als man bisher glaubte, dass sie mehr Gefühle haben, Schmerzen empfinden können, kooperativ sind. Sind das Erkenntnisse, die man in der Praxis sowieso längst hat?
Bohner: Klar blicken wir sehr genau auf die Verhaltensweisen unserer Tiere. Wir sehen etwa, dass die Kühe in unserem neuen Kompoststall ganz anders liegen als vorher. Der Boden ist ja sehr weich, und da strecken sie alle viere von sich; den Kopf auf dem Stallboden, total entspannt. Anderes Beispiel: Meistens werden die Kälber kurz nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und separat aufgezogen. Wir ziehen unsere Kälber in den ersten vier Wochen muttergebunden auf. Man sieht dann, wie viel sich die Kälber schon in den ersten Tagen von der Mutter abschauen. Das ist schon cool.
Sommer: Natürlich beobachten auch wir unsere Tiere genau. Heute Morgen lagen sie ganz entspannt da. Und ich schau mir die Ferkel an, wie sie dösen. Denen geht es gut. Gerade bei Zuchttieren musst du ja auch gute Leistungen erbringen, um sie verkaufen zu können. Und bei jedem Stallneubau haben wir versucht, das Tierwohl zu verbessern. Beim Umbau 2015 sind wir auf die Haltestufe 2 gegangen. Die Sauen im Wartestall haben einen Transponder und können sich ihr Futter selbst holen, ihrem Trächtigkeitsstadium und Gewicht entsprechend. An so einem heißen Tag wie heute liegen die übrigens alle auf den Spalten und nicht im Stroh, obwohl der Spaltenboden ja in Verruf geraten ist. So ein Strohboden kann schnell sehr ungepflegt werden. So toll, wie es immer dargestellt wird, ist das Stroh in Wirklichkeit nicht.
Plessing: Ich finde Ihre Aussagen schwierig. Die Sau würde sich vermutlich noch lieber im Dreck suhlen, als auf dem Spaltenboden zu liegen. Und Stroh ist ein wichtiges Beschäftigungsmaterial für Schweine. In Ihrer Schilderung klingt das Leben Ihrer Schweine ganz idyllisch. Aber man könnte auch fragen: Was sollen die Tiere denn anderes machen, als in der Ecke zu liegen und zu dösen?
Sommer: Die relaxen eben. Was sonst? Apropos Stroh: Wir haben jetzt die ersten Fälle der Afrikanischen Schweinepest ganz in unserer Nähe, und ich weiß gar nicht, ob wir im kommenden Jahr noch Stroh bergen dürfen. Und die von vielen so hochgelobte Freilandhaltung ist in Bezug auf die Ansteckungsgefahr besonders problematisch. Wir mästen unsere Tiere übrigens antibiotikafrei und haben einen sehr hohen Gesundheitsstatus. Schauen Sie sich mal die gesundheitlichen Auswertungen von Outdoor-Schweinen an, die ganzjährig draußen gehalten werden. Die Reklamationen sind im Durchschnitt doppelt so hoch. Man muss das alles gegeneinander abwägen.
Bohner: Die Frage ist, ob wir das Tier dem Standard des Menschen anpassen oder zunächst mal die Verhaltensweisen der Tiere studieren und dann schauen, wie wir sie am besten halten sollten. So wünschen wir uns das bei Naturland. Bei Rindern siehst du dem Stall auf den ersten Blick nicht unbedingt an, ob es sich um eine Biohaltung handelt, bei Schweinen aber sofort.
Woran?
Bohner: Der Ringelschwanz ist bei Bio das klare Zeichen für eine gute Haltung. Wenn er abgeschnitten wird, damit die Tiere sich nicht gegenseitig beißen, stimmt eben etwas nicht. Es ist ein Indikator dafür, dass diese intelligenten und sozialen Tiere nicht genug Platz haben und keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Sommer: Sie stellen das jetzt verkürzt dar. Die Ursache für das Schwanzbeißen ist multifaktoriell, also komplex, und daher aus wissenschaftlicher Sicht nicht so einfach zu erklären.
Wie ist das bei den Kühen mit den Hörnern?
Oechsle: Bei uns haben nicht alle Tiere Hörner. Das kommt auf die Linie an. Es gibt ja jetzt viele genetisch hornlose Arten.
Bohner: Wir halten nur Tiere mit Hörnern und stehen diesem Trend der genetisch hörnerlosen Rinder kritisch gegenüber.
Plessing: Die Hörner sind ein wesentliches Organ für Rinder, für ihre Kommunikation und ihr Verhalten.
Bohner: Eine Kuh ist so feinfühlig, dass sie ihre Nachbarin mit der Hornspitze am Auge kratzen kann. Früher haben wir unsere Kühe ja auch noch enthornt. Es war schrecklich. Ich bin mir sicher, dass die Tiere dabei ein Trauma davontragen. Aber Sie können halt mehr Kühe auf kleinerem Raum halten, wenn die keine Hörner haben. Unsere Tiere haben eben einen verdammt großen Radius, wenn sie den Kopf drehen.
Oechsle: Wir würden auch gern mehr Weidehaltung betreiben. Es stört uns total, dass wir dafür keine geeigneten Flächen haben. Derzeit sind wir so klein strukturiert, dass wir die Kühe auf mehrere verschiedene Weiden aufteilen müssten, und das schaffen wir nicht.
Herr Sommer, Sie haben vorher geschildert, dass Sie immer neue Auflagen bekommen, was das Tierwohl angeht. Ist es denn trotzdem auch einfach ein gutes Gefühl zu sehen, wenn es den Tieren besser geht?
Sommer: Ja, das ist es, und wir haben den Umbau gern gemacht. Aber dann kommt fünf Jahre später eine neue Nutztierhaltungsverordnung – und du musst schon wieder umbauen.