Hofgespräch
Agrarpolitik

Eine Tafel. Zwölf Gäste. Und viele große Fragen: Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus? Wie wollen wir Tiere halten, wie unser Land bewirtschaften? Was bewegt die Bäuerinnen und Bauern? Was muss sich verändern – auch politisch? Und was muss uns das als Gesellschaft wert sein? Ein Gespräch in drei Teilen.

Elisa Holz

Normalerweise sind heiße Nachmittage im Spätsommer träge. Nicht so heute: Es herrscht ein Kommen und Gehen. Junglandwirt Daniel Arzt und Pilzzüchterin Diana Rein sind schon länger da. Monja Oechsle macht sich mit ihren Kindern und ihrer Mutter auf den Rückweg – schließlich muss sie um 17 Uhr zum Melken wieder im Stall sein. Jetzt taucht Christian Hiß mit dunkler Sonnenbrille hinter der Scheune auf, ein Pionier in Sachen nachhaltiger Landwirtschaft. Und Arndt Feuerbacher, Agrarökonom an der Uni Hohenheim, schwingt sich vom Fahrrad. Christian Coenen sitzt schon länger am Tisch und will gerade aufstehen … Moment mal! Als politisch engagierten Landwirt braucht es ihn noch in der Runde, um über Politik, Wirtschaft und nötige wie mögliche Veränderungen in der Landwirtschaft zu sprechen.

 

Herr Coenen, Sie sind als Vorsitzender von Land schafft Verbindung viel unterwegs. Wie viel Veränderungsbereitschaft bemerken Sie unter Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Landwirtschaft?

 

Christian Coenen: Im Prinzip verändert sich die Landwirtschaft, seit es sie gibt. Wir stellen ja ständig um, wenn auch oft schweren Herzens – vor allem, wenn es um Tiere geht. Aber es ist klar, dass sich was ändern muss, weil die Stimmung so schlecht ist. Ich bin 1976 geboren. Mein Vater hat immer gesagt, das war sein bestes Jahr. Ich dachte immer, er sagt das, weil er so stolz auf mich und meine Geburt war. Später wurde mir klar, dass es an den Preisen lag: Damals hat er für 100 Kilo Weizen 40 Mark bekommen. Heute kriege ich 20 Euro. Das sagt eigentlich alles.
Diana Rein: Auch wir haben immer weniger für unser Schweinefleisch bekommen. Gleichzeitig sind die Produktionskosten gestiegen, aber auch die Investitionskosten, weil wir immer neue Vorgaben der Politik erfüllen mussten. Es gab also Druck von oben und von unten. Zwischendrin müssen wir die Familie ernähren und den Betrieb erhalten. Wir haben uns deshalb radikal verändert und von unserer Schweine- auf eine Pilzzucht umgestellt.

 

Hat das Druck rausgenommen?

 

Rein: Na ja. Wir kämpfen jetzt zwar auch, aber ich bereue die Entscheidung auf keinen Fall. Mein Mann hat sich da am Anfang schwerer getan. Er ist schließlich mit den Schweinen aufgewachsen. Für ihn war die Umstellung schon ein großer Schritt.

Christian Hiß: Ich bin auch in der Landwirtschaft aufgewachsen und hatte am Kaiserstuhl selbst einen eigenen Gemüsebaubetrieb. Ich habe vielfältig und nachhaltig gewirtschaftet, zum Beispiel betriebseigene Kreisläufe etabliert, sodass ich keinen Dünger zukaufen musste. Das ist gut für den Boden, die Luft, das Wasser und für das Klima. Doch diese Leistungen, die auch der Allgemeinheit zugutekommen, verursachten nur Aufwand, sprich: Kosten. Mein Betrieb war defizitär, obwohl er sehr gut lief. Dieser Widerspruch war für mich die Initialzündung.

 

Wofür?

 

Hiß: Um betriebswirtschaftlich an das Thema Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ranzugehen und das grundsätzlich zu überdenken – und zwar auf Ebene der Buchhaltung. Mein Gedanke war, diese Leistungen für das Allgemeinwohl mit einem Geldwert zu versehen; sie müssen auf der Habenseite der Betriebe auftauchen und bezahlt werden. Das Ganze hat einen Doppeleffekt: Von einem guten Boden mit hohem Humusgehalt profitiert auch der Landwirt selbst. Der steigert langfristig die Produktivität seines Betriebs.

 

Die Zukunftsmission Landwirtschaft hat in ihrem Abschlussbericht 2021 auch vorgeschlagen, dass sich die Leistungen der Landwirte fürs Allgemeinwohl wie CO2-Speicherung oder Bodenpflege betriebswirtschaftlich lohnen müssten.

 

Hiß: Wenn wir transparent machen können, was ein Betrieb für den Schutz und die Regeneration unserer Ökosysteme tut, und diese Leistungen auch mit einem nachvollziehbaren Euro-Betrag versehen, dann haben wir eine monetäre Basis, auf der wir weiterrechnen und weiterverhandeln können. Billige und weniger nachhaltig produzierte Produkte würden dadurch teurer und aufwendig produzierte landwirtschaftliche Produkte günstiger, weil die Betriebe für ihre Nachhaltigkeitsgüter Geld aus einer anderen Quelle bekämen.

 

Arndt Feuerbacher: Aber so funktionieren Märkte nicht. Der Preis wird immer noch durch Angebot und Nachfrage gebildet. Das heißt, wenn es eine hohe Nachfrage nach den Pilzen von Frau Rein gibt, dann kann sie diese zu einem attraktiven Preis verkaufen. Wenn es keine Nachfrage nach den Pilzen gibt, dann kann sie zu keinem Preis verkaufen. Aber ich stimme dem zu, dass wir die Umweltleistungen der Landwirtschaft honorieren müssen. Das sind öffentliche Güter, für die die Gesellschaft aufkommen müsste. Das ist ja auch gerade eine Debatte in der Agrarpolitik.

Rein: Dass wir nicht nur Schäden verursachen, sondern auch positive Leistungen für die Allgemeinheit erbringen, kommt aber in der Öffentlichkeit nicht an. Wenn wir Gülle ausbringen, überdüngen wir angeblich gleich alles. Dabei ist das auch wichtig für den Boden. Und dass die sogenannten Maiswüsten auch CO2 im Boden binden oder im Fall von Grünland Stickstoff, das wird nicht gesehen.

Daniel Arzt: In der Kommunikation müssen wir tatsächlich besser werden. Allerdings sind für den einzelnen Landwirt die Möglichkeiten begrenzt. Aber es gibt immer mehr Landwirte, die zum Beispiel soziale Medien nutzen. Das eröffnet neue Möglichkeiten.

 

Studien zeigen, dass in der Bevölkerung weniger die Landwirtin oder der Landwirt an sich in der Kritik stehen als vielmehr das „System Landwirtschaft“. An welchen Schrauben in diesem System könnte man noch drehen?

 

Feuerbacher: Für viele Umweltleistungen der Landwirtschaft gibt es noch keinen Markt; wir können das nur als Attribut des Produkts vermarkten. Wenn Landwirte etwas besonders gut machen im Sinne von Tierwohl, Umwelt, Artenvielfalt, können wir nur hoffen, dass der Konsument mehr zahlt. Und das tut er halt nicht immer. Wir haben also ein Marktversagen. Wenn der Markt versagt, gibt es einen Grund für den Staat einzuspringen. Andernfalls hätten wir einen großen Schaden, wenn wir die Erzeugung von Lebensmitteln nicht fördern beziehungsweise deren Erzeuger schlechter stellen würden. Aber wir sind uns oftmals nicht einig, wie man das fördern sollte.

Hiß: Erst mal bepreisen, schlage ich vor.

Coenen: Ich möchte entlohnt werden für die Lebensmittel, die ich produziere. Und wenn ich für das Gemeinwohl etwas leiste, dann möchte ich auch dafür entlohnt werden. Wenn ich für meine Leistungen bezahlt würde, wäre das etwas anderes, als vom Staat Subventionen zu bekommen, damit ich überleben kann. Wir brauchen ein neues und gerechteres System.

 

Wie könnte der Weg raus dem Subventionsdschungel hin zur Entlohnung von Leistungen im Sinne des Allgemeinwohls aussehen? Würde jeder Betrieb dann seine eigene Rechnung aufmachen?

 

Hiß: Wir haben in unserem Unternehmen 500 Leistungskennzahlen mit Landwirten und Wissenschaftlern erarbeitet. Diese beziehen sich auf Nachhaltigkeits- und Gemeinwohlgüter. Wenn ein Betrieb so wirtschaftet, dass er alle Ökosysteme in jedem Bereich schützt und erhält, wird er dafür entlohnt.

 

Sanktionen für Umweltschäden durch die Landwirtschaft wären dann also nicht mehr nötig?

 

Hiß: Um Bestrafung geht es mir nicht. Es funktioniert ja bislang offenbar nicht damit, dass die Politik überwiegend sanktioniert. Ich komme von der positiven Seite.

Arzt: Würde ich dann als Betrieb ein Label bekommen für das, was ich alles Gutes tue?

Hiß: Nein, Sie würden eine Rechnung stellen und dafür dann Geld bekommen. Feuerbacher: Und die bezahlt dann die Allgemeinheit?

Hiß: Machen wir doch erst mal die Rechnung auf und sprechen dann darüber, wer das bezahlen soll.

Coenen: Die Allgemeinheit muss das bezahlen. So oder so.

Feuerbacher: Zurück zur Frage: Wie werden in dieser Art von Buchhaltung die negativen Auswirkungen der Landwirtschaft, also die externen Kosten, erfasst?

Hiß: Wir haben Benchmarks entwickelt, die auf den genannten Leistungskennzahlen beruhen. Wenn man als Betrieb unter dem Benchmark landet, bekommt man weniger Geld. Das wäre ein Positiv-negativ- Anreiz. Wer noch nicht gut genug ist, kann besser werden. Und wenn er besser wird, kann er auch mehr Geld in Rechnung stellen.

Coenen: Momentan müssen wir für Geld Auflagen und Vorschriften erfüllen. Wenn wir das nicht machen, werden wir sanktioniert. Das Problem ist außerdem, dass alle gleich behandelt werden und regionale Unterschiede und örtliche Besonderheiten keine Rolle spielen. In Baden-Württemberg produzieren wir kleinteiliger und zu anderen Preisen. Konkurrieren müssen wir trotzdem am Weltmarkt. Ich kenne Betriebe, die die Anträge auf Förderung schon gar nicht mehr ausfüllen. Denen reicht’s mit der Gängelung.

Feuerbacher: Das ist aber sicherlich keine Lösung für alle Landwirte. Laut der Zahlen, die ich im Kopf habe, machen die Agrarsubventionen je nach Jahr ungefähr 50 Prozent ihres Einkommens aus. Bei Ökolandwirten geht dieser Anteil sogar über 80 Prozent. Da würden die Kollegen wirklich auf sehr viel Geld verzichten.

Coenen: Das sind Betriebe, die noch ein anderes Einkommen haben. Ich für meinen Teil könnte ohne Subventionen nicht leben. Aber wenn ich gegenrechne, was ich alles tun muss für diese Gelder, dann ist die Marge eigentlich sehr schmal. Für mich ist es ein Fehler, dass ein Betrieb wie meiner 53 Prozent seines Einkommens vom Staat bekommt.

Hiß: Ich finde das berechtigt. Wenn du Gemeinwohlgüter produzierst, warum sollst du dein Geld dann nicht von der öffentlichen Hand bekommen? Aber halt nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nach einem anderen System. So, wie du Kartoffeln bereitstellst, kann du auch Biodiversität bereitstellen.

Coenen: Aber dann fülle ich keinen Antrag mehr aus, sondern schreibe eine Rechnung.

Hiß: Selbstverständlich, da will ich hin. Das ist dann ein unternehmerischer Zugang. Da kann ich vorher kalkulieren, wie viel Nachhaltigkeitsgüter ich produziere und was ich dafür verlangen kann. Das schafft Planungssicherheit.

Coenen: Jetzt stellt der Staat beziehungsweise die EU ein gewisses Budget zur Verfügung und das wird dann runtergerechnet und verteilt.

Hiß: Und genau dieses System wollen wir umdrehen.

 

Das Licht des Spätnachmittags wird sanfter – und die Diskussion wird hitziger. Christian Hiß und Arndt Feuerbacher sind sich nicht ganz einig, Christian Coenen rückt auf der Bierbank in den Schatten. Zu heiß soll es schließlich auch nicht werden.

 

Sie schütteln den Kopf, Herr Feuerbacher.

 

Feuerbacher: Das ist unrealistisch. Gerade haben wir eine Haushaltskrise, wenn ich daran erinnern darf. Ich bin ja bei Ihnen, dass wir was machen müssen. Viele Landwirtinnen und Landwirte würden am liebsten nicht von öffentlichen Geldern abhängig sein. Was in der Diskussion aber viel zu kurz kommt, sind Konsument und Einzelhandel. Es schlagen sich immer nur Politik und Landwirte.

Coenen: In der normalen Wirtschaft kalkuliert der Produzent seine Kosten und verhandelt dann den Preis. Wir sind bei den meisten Produkten an dieser Verhandlung gar nicht beteiligt und müssen das nehmen, was übrig bleibt. Wenn die Milch abgeholt wird, weiß der Milchbauer nicht, wie viel er dafür bekommen wird. Stellen Sie sich das mal in anderen Wirtschaftszweigen vor.

Rein: Wir bekommen Gutschriften vom Staat. Aber wir sind Unternehmer. Jeder andere Unternehmer stellt eine Rechnung und muss sich nicht mit dem zufriedengeben, was er zugeteilt bekommt. Ich will kein Bittsteller sein müssen.

Feuerbacher: Ich muss bei aller berechtigter Kritik einwerfen: Von 2022 auf 2023 verzeichnete die Landwirtschaft Rekordgewinne. Aber auf Veranstaltungen habe ich trotzdem nur Gejammer gehört. Man gibt nicht zu, wenn es auch mal gut läuft. Auch das ist eine Eigenheit der Landwirtschaft.

Diana Rein. Die 52-Jährige züchtete zusammen mit ihrem Mann Andreas auf ihrem Hof in Gündlingen im Breisgau Schweine. Doch dann kamen die Zweifel – ausgelöst durch anstehende Investitionen für neue Ställe in Millionenhöhe. Die Familie Rein beschloss, völlig neue Wege zu gehen, und kultiviert seit 2021 Bio-Edelpilze wie Kräuterseitlinge, Shiitake- und Austernpilze.

Juniorprofessor Dr. Arndt Feuerbacher. Der 39-Jährige ist Agrarökonom und unterrichtet an der Universität Hohenheim. Er untersucht, welche politischen Maßnahmen geeignet sind, um die Transformation zu einer biodiversitätsfreundlichen Landwirtschaft und Ernährung tatsächlich voranzubringen. Er ist der Auffassung, dass die EU und die Nationalstaaten noch zu viel der Steuergelder mit der Gießkanne verteilen, ohne wirklich zu steuern.
Christian Hiß. Der 63-jährige Gemüsegärtner mit einem Master in Social Finance gründete 2006 die erste Regionalwert AG in Freiburg. Die Idee: Bürgerinnen und Bürger kaufen Anteile und investieren so in nachhaltig wirtschaftende Betriebe ihrer Region. Inzwischen ist Hiß Geschäftsführer der Regionalwert Leistungen GmbH. Landwirtinnen und Landwirte können dort ihre Nachhaltigkeits- und Gemeinwohlleistungen berechnen lassen.
Daniel Arzt. Der 25-Jährige studiert an der Universität Hohenheim Agribusiness und arbeitet gleichzeitig im elterlichen Gemüseanbaubetrieb in Ditzingen bei Stuttgart, den er übernehmen wird. Außerdem engagiert er sich ehrenamtlich im Vorstand des Vereins Junges Bioland. Er ist damit einer von immer mehr jungen Menschen, die sich ganz bewusst für einen sogenannten Grünen Beruf entscheiden.

Die Diskussion wird hitziger. Christian Hiß und Arndt Feuerbacher sind sich nicht ganz einig. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Warum versagt die Politik laut Meinung des Experten? Und was macht dennoch Mut? Lesen Sie unser großes Hofgespräch im Magazin. (Link auf Magazin einbauen)