Smart Farming

Das Klima in Baden-Württemberg verändert sich, Extremwetterereignisse nehmen zu – mit Auswirkungen auf die Ernte. Im Projekt „ENABLE“ untersucht ein Forscherteam die Bedingungen, die Böden und Pflanzen erfüllen müssen, um ertragreich zu bleiben. Drohnen, Sensoren, künstliche Intelligenz und Simulationen sollen dabei helfen und zugleich die Artenvielfalt auf den Feldern erhalten.

Isabel Stettin

Schäfchenwolken ziehen über den blauen Augusthimmel; das Maisfeld leuchtet in der Sonne – zwei Meter ragen die Pflanzen in die Höhe. Ein leises Surren erfüllt die Luft. Über dem Mais schwebt eine Drohne und macht im Sekundentakt Fotos vom Versuchsfeld am Boden. Reiner Braun steht hinter dem Elektrozaun, der das bald erntereife Getreide vor gefräßigen Wildschweinen schützen soll. Mit einer Fernsteuerung dirigiert der Wissenschaftler die Drohne über den Acker, eine Reihe nach der anderen. „So können wir unsere gesamte Anbaufläche überwachen.“ Braun beschäftigt sich am Herman Hollerith Zentrum der Hochschule Reutlingen in der Forschungsgruppe Service Science von Prof. Dr. Dieter Hertweck mit dem Thema Lebensmittelversorgung und ökologischer Landbau. Seit Jahren treibt ihn die Frage um, wie sich Nahrung, Energie und Wasser sichern lassen – und wie digitale Lösungen dabei helfen können.

 

Das Maisfeld ist Teil der Versuchsstation für Agrarwissenschaften der Universität Hohenheim. Der Ihinger Hof in Renningen dient als riesiges Freiluftlabor für die Zukunft der Landwirtschaft. Die Wetterextreme nehmen zu; Starkregen wechselt sich mit Dürreperioden ab. „Dieses Jahr war besonders nass, was dem Mais sichtlich gutgetan hat“, sagt Markus Sökefeld. „Aber der nächste trockene Sommer könnte schon bald folgen.“ Als Herbologe befasst sich Sökefeld an der Universität Hohenheim mit Pflanzenkulturen und der Bekämpfung von Unkraut. Gemeinsam forschen Braun und Sökefeld daran, wie die Landwirtschaft auch unter veränderten klimatischen Bedingungen produktiv bleiben kann. Bei ihrem Projekt „ENABLE“, das von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert wird, werden sie von Iris Palmer unterstützt. Die Bodenkundlerin ist Expertin für digitalisierte Landwirtschaft in der gemeinnützigen Organisation open science for open societies (os4os).

 

Startklar: Reiner Braun steuert die Drohne.
Flächenplan: Über die Fernbedienung lässt sich der Drohnenflug über das Feld verfolgen.
Sendemast: Auf dem Gelände des Ihinger Hofs dient er der flächendeckenden Versorgung aller Versuchsfelder.

Tradition und Technologie

Die drei Wissenschaftler kombinieren moderne Technologie mit traditionellen Anbaumethoden, um die Resilienz von Pflanzen und Böden zu erhöhen. In einem ersten Experiment erforscht das Team die Vorteile der Dammkultur. Dafür hat ein Traktor mit Dammformer, einer Art Pflug, die Erde aufgelockert und Furchen im Abstand von 75 Zentimetern gezogen. Der Mais wächst nun etwas erhöht und kann in die Tiefe wurzeln, wo es feucht ist. „Der Anbau auf Dämmen ist bei Spargel oder Kartoffeln schon lange üblich und bietet viele Vorzüge“, erklärt Sökefeld. In trockenen Phasen bleibt die Feuchtigkeit im gelockerten Boden, der Wasser besser speichert. In regenreichen Zeiten hingegen steht das Wasser nach starken Niederschlägen nur in den Tälern, also zwischen den Pflanzenreihen. Die Dämme trocknen schneller; Staunässe bleibt aus. „Es ist eine einfache, aber effektive Methode, um den Ertrag zu sichern und die Wachstumsbedingungen zu verbessern“, sagt Sökefeld und prüft zwischen den Maispflanzen einen Sensor, der in der Erde steckt. Überall auf dem Feld sind Sensoren installiert, die kontinuierlich die Temperatur und Feuchtigkeit des Bodens messen. „Die Technologie hilft uns dabei, die Wirkung der Methode zu untersuchen und zu optimieren“, ergänzt Iris Palmer.

 

In der Zwischenzeit hat Reiner Braun sein Notebook auf einer blauen Tonne platziert, einer mobilen 5G-Station direkt am Acker. In ihrem Projekt wollen die Forschenden auch das Potenzial von 5G-Netzen und dezentraler Datenverarbeitung testen. Es geht darum, jederzeit auf die Daten zugreifen und genau überwachen zu können, was sich auf dem Feld tut. Auch die von der Drohne erfassten Bilder und Daten kann Braun direkt vom Feld aus auf den Server übertragen – und auf seinem Notebook auswerten. Möglich macht das ein Sendeturm, der in der Ferne auf dem Gelände des Ihinger Hofs zu sehen ist.

 

Das 5G-Campusnetz: 5G-Technik ermöglicht das Erfassen von Umwelt-, Pflanzen- und Bodendaten in Echtzeit – und eine schnelle Datenverarbeitung.
Messdaten: Die Sensoren zeichnen die Feuchtigkeit und Temperatur des Bodens auf.
Überwacht: Neben Mais sollen bald auch Zuckerrüben und Sonnenblumen die Feldforschung ergänzen.
Dammformer: Mit diesem Traktor haben die Mitarbeiter Furchen in das Feld gezogen.

Gezielte Unkrautkontrolle

 

Die Drohne surrt noch immer über den Maisreihen. Ihre Aufnahmen, kombiniert mit den Informationen aus den Bodensensoren, geben den Forschenden wertvolle Einblicke in den Zustand der Pflanzen. Mithilfe dieser Daten will „ENABLE“ auch die Artenvielfalt auf den Feldern erhalten. Um Unkraut zu bekämpfen, das den Nutzpflanzen Platz, Wasser und Nährstoffe raubt, setzt die konventionelle Landwirtschaft Herbizide ein. Diese chemischen Pflanzenschutzmittel dämmen den Wildwuchs ein und helfen damit, die Ernten zu sichern. Zugleich vernichten sie aber so die Nahrungsgrundlage von Insekten und Vögeln. Darunter leidet unter anderem wiederum die Landwirtschaft selbst, weil eine höhere Artenvielfalt zur Stabilität der Ökosysteme beiträgt und die Böden widerstandsfähiger gegen Extremwetter und Schädlinge macht. „Unser Ziel ist es, die Biodiversität auf den Feldern zu fördern, ohne die Erträge der Landwirte zu gefährden“, erklärt Sökefeld.

 

Um unterschiedliche Methoden zu vergleichen und zu bewerten, ist das Versuchsfeld in Parzellen unterteilt, auf denen verschiedene Verfahren der Unkrautkontrolle getestet werden: Die Forschenden wollen herausfinden, ob und wie viele Herbizide notwendig sind, um optimale Erträge zu erzielen – und was passiert, wenn keine Unkrautkontrolle stattfindet. Zudem wollen sie Wege finden, wie wertvolle Ackerwildkräuter erhalten werden können. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Drohne: Mithilfe von Trainingsdaten und einer hoch entwickelten Bildverarbeitung lernt die Software nützliche Ackerbegleitkräuter von schädlichem Unkraut zu unterscheiden. Aus der Kombination dieser Daten sollen Empfehlungen dazu abgeleitet werden, wie stark der Einsatz von Herbiziden reduziert werden könnte, ohne die Produktivität der Landwirtschaft zu verringern. „ENABLE“ geht es um die richtige Balance zwischen Ernährungssicherheit und dem Erhalt von Biodiversität.

 

In den kommenden drei Jahren wollen Braun, Sökefeld und Palmer weitere Kulturen anbauen – Zuckerrüben und Sonnenblumen – und neben Feldfrüchten vor allem eines ernten: wertvolle Daten.

Reiner Braun konzipiert digitale Lösungen, die Nahrung, Energie und Wasser sichern helfen.
Iris Palmer ist Bodenkundlerin und Expertin für digitalisierte Landwirtschaft.
Markus Sökefeld beschäftigt sich als Herbologe mit Pflanzenkulturen und Unkrautbekämpfung.

Aus der Stiftung – Forschung

Innovationen in der Land- und Forstwirtschaft

Das Projekt „ENABLE“ ist eines von acht Projekten, die die Baden-Württemberg Stiftung über das Programm Innovative Technologien für Klimaresilienz in der Land- und der Forstwirtschaft fördert. Insgesamt wurden fünf Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Land- und Forstwirtschaft sind vom Klimawandel besonders stark betroffen. Es gilt daher, die Widerstandsfähigkeit gegen die damit einhergehenden Veränderungen zu stärken. Erforderlich sind neue Bewirtschaftungstechniken und innovative Technologien wie Bewässerungssysteme, die an Wassermangel angepasst sind, oder Photovoltaik-Anlagen in der Landwirtschaft. Vor allem die Digitalisierung kann in diesem Bereich bei Entscheidungen unterstützen und Prozesse optimieren. www.bwstiftung.de/klimaresilienz