Warum gelten dann im digitalen Raum nicht Regeln wie im analogen Leben?
JH Es wurde immer reguliert – aber oft von den Falschen. Die Behauptung, das Netz sei ein rechtsfreier Raum, hat so noch nie gestimmt. Und heute ist die Unterscheidung zwischen Online- und Offline-Welt schon lange nicht mehr sinnvoll. Und schon die Unterscheidung von Netz und Nichtnetz ist idiotisch!
MB Die Vorratsdatenspeicherung ist das beste Beispiel. In der analogen Welt wird nirgends die Information gespeichert, wen wir wo beim Spaziergang treffen und wann wir mit unserer Mutter quatschen. Lange haben die Provider solche Informationen aber im Netz sechs Monate lang gespeichert. Geheimdienste konnten diese Daten beliebig abfragen. Bis das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 dieses Überwachungsgesetz beschnitt, weil es verfassungswidrig war. Die Bundesregierung hat sie trotzdem 2015 mit vier Wochen Speicherung wiedereingeführt. Und jetzt liegt das Gesetz erneut beim Verfassungsgericht.
JH Es wäre ja ein Fortschritt, wenn im Internet die gleichen Regeln gelten würden wie im analogen Leben. Aber je mehr wir digitalisieren, desto bedrohlicher wird es in Hinblick auf die Sammlung und Auswertung von Daten in einem System, das sich selbst beschleunigt. Ich empfinde es als große Mutlosigkeit der Politik, dass sie da keinen Riegel vorschiebt. Was sollte sich am dringendsten ändern?
JH Wir müssen ganz grundsätzlich den Datenschutz neu durchdenken, und zwar im Hinblick auf personenbezogene Daten. Für die Einwilligung zur Auswertung von Daten brauchen wir kollektive Lösungen statt individuelle Einverständniserklärungen. Und wir müssen überlegen, was wir mit den unfassbar vielen Daten, die andauernd generiert werden, eigentlich machen wollen. Wer hat Zugang? Wer kontrolliert sie? Wem gehören sie? Den Usern, den Providern, den Plattformen, den Geheimdiensten, dem Staat?
MB Da bin ich etwas anderer Meinung: Wir müssen den Datenschutz weiterentwickeln, aber nicht komplett neu durchdenken. Oder wie meinst du das?
JH Ich meine, dass es heute nicht mehr um rein personenbezogene Daten geht, denn Daten sind relational geworden. Das heißt, es wird mit Beziehungsprofilen gearbeitet. Es geht nicht darum, ob ich in Hausnummer 32 oder 36 wohne, sondern wann ich mich wo wie und mit wem aufgehalten und was ich mit ihm oder ihr ausgetauscht habe.
MB In dem Punkt hast du recht. Zudem müsste man beispielsweise von Google oder Facebook erfahren können, wie die meine Daten interpretieren und verwenden. Da bräuchte man Transparenz. Und wir müssten die rechtliche Durchsetzung in der Datenschutzgrundverordnung überarbeiten. Es ist nicht zeitgemäß, dass wir von Deutschland nach Irland oder Luxemburg ziehen müssen, wenn wir die Internetkonzerne verklagen wollen .