Ermutigen

In Baden-Württemberg ist rund die Hälfte aller Studierenden weiblich, doch Frauen sind bei Professuren deutlich unterrepräsentiert. Pionierinnen wie Professorin Eva Martha Eckkrammer, die ihre Erfahrungen offen nach außen tragen, wollen das ändern. Ein Gespräch über Empowerment, rückständige Strukturen und darüber, wo Frauen sich selbst noch im Weg stehen.

Nataly Bleuel
Lesedauer: 6 Minuten

Frau Professorin Eckkrammer, Sie sind leidenschaftliche Wissenschaftlerin. Wollten Sie das schon als Kind werden?

Eva Martha Eckkrammer Als Kind wusste ich gar nicht, was das ist. Wissenschaftler gab es in den 70er-Jahren in keinem meiner Kinderbücher und Wissenschaftlerinnen schon gar nicht. Auch nicht in unserer Familie. Meine Mutter wurde nach der Mittleren Reife von der Schule genommen und zur technischen Zeichnerin ausgebildet. Da hatte eine junge Frau in Baden-Württemberg nichts mitzureden. Mein Vater hatte durch den Krieg Schulzeit verloren, sich zum Ingenieur weitergebildet und als „Gastarbeiter“ in Baden-Württemberg schließlich so gut verdient, dass er der Erste im Dorf war, der sich einen VW-Käfer leisten konnte. Er wollte, dass alle seine fünf Kinder Abitur machen.
 

Und dann studieren?

Als es darum ging, ob mein zwei Jahre älterer Bruder studiert und wenn ja, ob er dann etwas fürs Herz oder fürs Geld macht, sagte mein Vater: „Ich will nicht an eurem Unglück schuld sein, jeder studiert, was er will.“ Das werde ich nie vergessen, und das haben wir dann auch alle gemacht.

 

Wussten Sie, wohin Sie Ihr Herz zieht?

Überhaupt nicht! Lange hatte ich zwei Herzen in meiner Brust, es zog mich zum Theater, und ich habe viele Jahre als Tourmanagerin gejobbt. Nach der Schule ging ich erstmal nach Frankreich, wo mein älterer Bruder schon Französisch gelernt hatte. Das wollte ich auch! Später studierte er Archäologie. An ihm beobachtete ich, wie das an der Uni läuft. Er hat mir erzählt, wie die Profs leben und was sie machen. Das waren alles Männer. Auch in meinem Fachbereich, der Romanistik. Schon damals waren die Studierenden zu 90 Prozent Frauen, aber neben vier ordentlichen Professoren gab es keine einzige Professorin.

Wie kam es, dass Sie promovierten?

Ich hatte inspirierende Dozentinnen. Von ihnen habe ich Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch gelernt und mir als Touristenführerin auch mein Studium finanziert. In einem Seminar erzählte dann mein Professor, es gäbe im Indischen Ozean und in der Karibik Inseln mit Sprachen, die noch nicht gut erforscht seien, eine hieß Papiamentu. In dem Moment wusste ich: Da will ich hin und forschen! Zwei Jahre später ging ich zu ihm und sagte, ich lerne dafür Kreolisch und Niederländisch, fahre hin und schreibe darüber meine Magisterarbeit. Er wurde immer stiller und sagte: „Da steckt mehr drin, wollen Sie nicht promovieren?“ Dieser Professor wurde mein Doktorvater und Mentor.

Mit 24 promoviert, mit 37 verbeamtete außerordentliche Professorin: War das ein glatter Marsch durch die Institutionen?

Da gab es auch krasse Dämpfer. Ich hatte mich ganz zu Beginn auf eine bezahlte Promotionsstelle beworben. Das wäre schön gewesen, denn ich musste ja für meinen Unterhalt sorgen. Ich war sicher, ich bekomme die Promotionsstelle, denn ich kannte das Bewerberfeld: Ich hatte am meisten publiziert, die größte sprachliche Bandbreite und einfach die beste Qualifikation. Aber sie nahmen einen Mann.

Hat Sie das überrascht?

Es war ein Schock. Ich fragte meine Kolleginnen: „Muss ich mir das gefallen lassen?“ Eine sagte: „Nee, geh zum Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, das ist ein klarer Fall von Nichtgleichbehandlung.“ Ich tat, was ich heute nicht mehr tun würde: Ich ließ es sein, weil ich meinte, ich wollte diesen Job, weil ich besser bin, nicht, weil ich eine Frau bin. Heute würde ich einer Kollegin raten, sofort zur Gleichstellungsbeauftragten zu gehen. In der Wissenschaft herrscht eine Bestenauswahl, das ist Wettbewerb. Er hat eine klare Messbarkeit, und wenn jemand mehr publiziert hat und breiter aufgestellt ist, dann hat sie den Platz zu kriegen! Als die Stelle meines Professors frei wurde, weil er nach Mainz berufen wurde, kamen sie nicht mehr um mich herum. Aber da war ich dann selbst am Hadern.

Inwiefern?

Mir haben das Theater und die Arbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern Spaß gemacht, mir haben die Tourneeleitungen und das fahrende Leben zwischen Schottland und Nizza sehr gefallen. Das habe ich jahrelang neben dem Studium gemacht. Aber nach langen Tagen und Nächten saß ich allein im Hotelzimmer, musste Geld zählen und fragte mich, wie dieses Leben vereinbar wäre mit Kindern und Familie. Da dachte ich, eigentlich hat eine Professorin auch viele Freiheiten, man kann selbst bestimmen, woran man arbeitet, mit wem und wen man fördert. Wenn man dafür brennt, ist es eine Berufung!

Wofür muss man brennen?

Wenn man gerne forscht, gerne schreibt und lehrt, gerne Menschen motiviert und Freude daran hat, zuzuschauen, wie andere sich entwickeln, dann ist man in der Wissenschaft richtig. Vielleicht kann man in den Geisteswissenschaften etwas selbstbestimmter arbeiten als in einem Laborverbund. Wenn ich mit Chemikerinnen oder Mikrobiologinnen spreche, sehe ich größere Abhängigkeiten. Aber wenn ich selbstständig geblieben wäre in meiner Eventagentur – die ich zwischendrin gegründet hatte –, wäre das Vereinbarkeitsthema bestimmt schwieriger zu lösen gewesen.

Wie haben Sie Beruf und Kinder unter einen Hut gebracht?

Als mein erstes Kind kam, hatte ich ein Stipendium. Das war gut, denn damals gab es ordentlich bezahlte Elternzeit noch nicht. Beim zweiten Sohn hat es mich aber voll erwischt. Mein damaliger Mann hatte eine Firma gegründet, sie warf nichts ab, und ich musste zwei Monate nach der Geburt wieder auf meine volle Stelle. Sonst hätten wir von 439 Euro im Monat leben müssen, mit Hauskredit. Also habe ich mein Zimmer an der Uni schön hergerichtet, ein Sofa reingestellt zum Stillen und mein Baby täglich mitgenommen. Einmal hat der Professor nebenan etwas Kritisches gesagt und ich habe erwidert: „Ist doch ein Aufstieg, meine Vertretung hatte immer einen Hund dabei, der bellte.“

Und wenn Sie unterrichteten?

Ich habe eine Doktorandin angeheuert, die mit dem Baby spazieren ging. Einmal konnte sie nicht und ich musste meinen vier Monate alten Sohn mit in die Vorlesung nehmen. Da habe ich ihn in seiner Schale in den Hörsaal gestellt und gesagt: „Er ist heute der Einzige, der hier schlafen darf.“ Erst hat er an seinen Füßchen rumgespielt, sich seiner Söckchen entledigt und dann schlief er ein. Danach kamen einige Studentinnen und sagten, das sei so entlastend zu sehen, dass hier keine Maschinen sind, die ihr Programm abspulen, sondern Frauen mit Kindern – und dass ihnen das Lust mache, selbst welche zu bekommen.

Eva Martha Eckkrammer, geboren 1968 in Hallein / Österreich, ist Professorin für Romanische Sprach- und Medienwissenschaft an der Universität Mannheim und Vorsitzende des Hochschulrats der Hochschule Mannheim. Sie ist Frauenkulturrätin der Stadt Mannheim, baute als Prorektorin für Forschung die Gleichstellungsarbeit der Uni Mannheim auf, leitete den Lehrgang karriere_links des Förderprogramms für Wissenschaftlerinnen der Universitäten Salzburg und Linz und arbeitet als Mentorin und Coach.

Ist Ihr Fachbereich der Romanischen Sprachen mit so vielen Frauen nicht ein Paradies im Vergleich etwa zu MINT-Fächern?

Ich habe quer durch alle Disziplinen mit Juristinnen, Chemikern und Mathematikerinnen zu tun und man kann sagen, dass die jungen Frauen und Männer sehr anders denken als meine Generation vor 30 Jahren. Leider sind in den MINT-Fächern nach wie vor sehr viel mehr Männer als Frauen, aber auch die sind heute viel engagiertere Väter. Vor einiger Zeit brachte mein Kollege seine beiden Töchter mit in die Senatssitzung. Es gab definitiv eine Zeitenwende.

 

Sie hatten damals keinen befristeten Vertrag, wie das heute so oft der Fall ist?

Ich bekam 1997 in Österreich einen Vertrag nach Altmuster, das heißt, man ist Universitätsassistentin und wenn man sich habilitiert, bekommt man automatisch eine außerordentliche Professur und ist verbeamtet. Aus dieser Position heraus konnte ich mich komfortabel bewerben. In Deutschland gibt es seit 1999 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und es macht nach einigen Änderungen meiner Meinung nach mittlerweile einen gewissen Sinn, wenn die Vertragslaufzeiten an die Qualifikationsziele angepasst sind: Einjahresverträge sind zum Beispiel nur noch der Fall, wenn die Wissenschaftlerin sagt, dass sie in einem Jahr fertig ist. Insgesamt darf man maximal zwölf Jahre befristet beschäftigt werden.

 

Mit um die 30 will man zumeist eine Familie und eine Existenz gründen. Wie soll das mit befristeten Verträgen gehen?

Ich passe die Verträge, die ich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schließe, immer an ein Qualifikationsziel an: Wenn jemand promoviert, läuft der Vertrag drei Jahre, und wenn ich jemanden gar nicht kenne, erstmal ein Jahr, bevor ein Zweijahresvertrag folgt. Dreijahresverträge motivieren auch, Kinder zu bekommen. Das sehe ich in meinem Fachbereich, wir sind da sehr fruchtbar. Mittlerweile ist es auch in die Personalabteilungen durchgedrungen, dass die Zwölfjahresfrist sich um ein Jahr verlängert, wenn ein Kind kommt. Ich hatte eine Kollegin, die bekam Zwillinge, und keiner hat ihr gesagt, dass ihr dafür zwei Jahre mehr zustehen.

Knapp 26 Prozent aller Professuren in Deutschland waren 2019 mit Frauen besetzt. Wie erwirkt man da Gleichstand?

Die meisten Frauen müssen immer noch doppelt und dreimal so viel leisten, um hochzukommen. Bei uns sind jetzt immerhin von vier Professorenstellen drei mit Frauen besetzt. Das Verhältnis hat sich also umgekehrt. Und es war dringend nötig, denn es ist zum Haareraufen, dass so viele Studentinnen auf dem Weg zur Habilitation – die man braucht, um eine Chance auf eine Professur zu haben – auf Plan B umschwenken.

Plan B?

Junge Frauen haben die besseren Noten im Abi, machen die besseren Studienabschlüsse, sie promovieren häufiger – und plötzlich sind sie weg. Für eine Habilitation braucht man Resilienz und darf nicht sofort aufgeben, wenn mal Widerstände kommen. Wir sehen zudem gerade, dass alte Traditionen wieder aufleben: Kinder kriegen – und dann bei den Kindern bleiben, anstatt weiter zu habilitieren. Viel länger als ein Jahr sollte aber niemand ganz aus der Forschung raus, man sollte wenigstens hin und wieder präsent sein, auch mit ein, zwei oder drei Kindern. Das geht! Stattdessen eliminieren sich viele Frauen selbst. Wir müssen ihnen mit Netzwerken, Vorbildern und Fortbildungsprogrammen mehr Rückhalt geben. Frauen in der Wissenschaft lassen sich gern von ihren Selbstzweifeln zerfressen, und ich muss ihnen immer wieder sagen: „Du hast alles, du kannst alles, du bist absolut für eine Professur geeignet, bleib dran!“ Stattdessen bewerben sie sich dann auf Stellen weit unter ihrem Niveau.

Aus Angst, es nicht zu schaffen?

Aus Angst, aus Bequemlichkeit, aus Gewohnheit. Dann kommen sie nach zehn Jahren im Wissenschaftsmanagement zu mir, um weiter ganz tolle Graduierten- oder Exzellenzanträge zu schreiben, und ich schaue ihnen in die Augen und frage: „Wenn die gute Fee käme, was würdest du dir eigentlich wünschen?“ Dann, sagen sie, würde ich meine Habilitation fertig schreiben und in der Wissenschaft bleiben. Das tut weh! Es ist unsere dringlichste Aufgabe, die Frauen in der kritischen Post-Promotionsphase nicht zu verlieren. Ich verschenke dann als Erstes das Buch der Soziologin Herrad Schenk: Wie viel Mutter braucht der Mensch? Da sieht man, dass die 24-Stunden-Mutter eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts ist und dass alle Arbeiterinnen, Bürgerinnen, Menschen vorher überlebt haben, ohne rund um die Uhr ausschließlich Mutter zu sein oder eine solche zu haben.

Wollen Ihre Söhne auch Wissenschaftler werden?

Hm, weiß nicht. Die Generation der Anfang 2000 Geborenen denkt ganz anders als wir. Die wollen eher mit geringem Widerstand und geringem Aufwand ein angenehmes Leben führen. Sie mussten ja bislang für nichts kämpfen. Und selbstkritisch muss ich anmerken, dass meine Kinder sagten: „Mama, du arbeitest ja nur!“ Ich war alleinerziehend, seit sie zwei und vier waren. Sie bekamen mit, dass ich mich abends kurz eine halbe Stunde hinlegte, um bis nachts um zwei vorm Computer zu sitzen.

Wollen Sie irgendwann mal runterfahren?

Ich werde ab Januar vier Jahre lang Vizepräsidentin und dann Präsidentin der deutsch-französischen Hochschule sein, denn mir ist Europa sehr wichtig. Da ist Runterfahren sicher nicht möglich. Aber ich habe den Berater vom Deutschen Hochschulverband gefragt, ob es so etwas wie eine Altersteilzeitprofessur gibt. Ich muss bis 67 in meiner Professur bleiben, andere bleiben teils bis 70. Das ist ein Flaschenhals für die Jungen, die ewig nicht nachrücken können. Ich würde die Professur die letzten Jahre gern mit einer jungen Kollegin teilen, die vielleicht gerade kleine Kinder hat.

Und was hat der Berater gesagt?

Er sagte: „Sie sind die Erste, die mich so was fragt!“ Wir sind rückständig in der Wissenschaft. Es gibt noch viel zu tun.

Aus der Stiftung – Forschung

EMPOWERMENT-TAG 2021

Wie gelingt es, mehr Frauen zu motivieren, Führungspositionen zu übernehmen? Mit dem jährlich stattfindenden Empowerment-Tag leistet die Baden-Württemberg Stiftung einen Beitrag zur Chancengleichheit. Dieses Jahr fand er am 16. Juni digital statt – mit hochrangigen Speakerinnen und Speakern, spannenden Diskussionen und einem Eröffnungstalk von Professorin Eckkrammer zur weiblichen Zukunft der Wissenschaft. Mehr Infos und Videos unter:

Empowerment-Tag