Solarmodul und Sägespäne – Kinder lernen Handwerk
Container, Hütten und niedrige Gebäude – im ehemaligen Steinbruch im Karlsruher Stadtteil Grünwettersbach liegt die Offene Jugendwerkstatt Karlsruhe e. V. (OJW). In der Schreinerei kreischen zwei Sägemaschinen, es riecht nach frisch geschnittenem Holz. Späne bedecken den Boden und dämpfen den Tritt. Sara misst gerade Buchenbretter aus. „Holzarbeiten gefallen mir sehr. Ich war schon an sieben Samstagen hier“, erzählt sie. Die 14-Jährige will für ein Schulprojekt ein Wandregal mit ausklappbarem Schreibtisch bauen. Konzentriert zeichnet sie mit einem Bleistift Linien aufs Holz, ihr Vater assistiert mit dem Zollstock und misst Abstände. Er freut sich, mit seiner Tochter Zeit zu verbringen und gemeinsam kreativ zu sein. Sara findet es toll, einen Raum für ihr Projekt zu haben. Das sei an ihrer Schule leider nicht möglich. „Man muss froh sein, wenn man eine Heißklebepistole nutzen darf“, sagt Sara. Von der Raumnot weiß auch der Leiter der Schreinerei, Hans Riehm: „Etliche Schulen haben Werkräume geschlossen.“ Angebote wie die OJW versuchen, diese Lücke zu schließen.
Gegründet wurde die Offene Jugendwerkstatt Karlsruhe bereits im Jahr 2009. Unter der Woche betreut der Verein Schulprojekte. Samstags sind die Werkräume offen für alle. Es wird von 10 bis circa 16 Uhr geschafft. Kinder ab zehn Jahren und Jugendliche können wählen, ob sie in die Schreinerei reinschnuppern wollen, in die Metallwerkstatt, in die Kunst-, Näh- oder Glaswerkstatt, in die Schmiede oder in die Schmuckwerkstatt. Auch jüngere Kinder dürfen kommen, sie müssen aber eine erwachsene Aufsichtsperson mitbringen. In den kalten Monaten werkeln 20 bis 30 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der OJW. Im Sommer sind es bis zu 45. Rund 130 Familien sind Mitglied im Trägerverein.
26 berufstätige und pensionierte Frauen und Männer begleiten die Arbeiten ehrenamtlich. Neun kommen aus dem Handwerk, 17 waren oder sind zum Beispiel Pilot, Schulleiterin, Professor, Ingenieurin, Techniker oder IT-Managerin. „Viele Kinder starten in der Schreinerei, denn Holz ist leichter zu bearbeiten als Metall“, sagt Werkstattleiter Riehm. Hier entstehen Kleinteile wie Holzspielzeug oder größere Projekte wie ein Tisch. Der pensionierte Lehrer unterrichtete früher Mathe und Sport, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen prägt sein Leben: „In der OJW möchte ich den Kindern Gelegenheit geben, handwerkliche Fertigkeiten zu lernen und stolz zu sein, wenn aus rohem Holz ein schönes Stück geworden ist.“ Viele Kinder wüssten nicht mehr, wie man etwas herstelle oder repariere. „Wenn sie drechseln oder sägen, dann staunen sie, was man aus alten Sachen alles machen kann.“
Mit Teamarbeit zum Elektro-Kettcar
Ein paar Hütten weiter liegt die Metallwerkstatt, es riecht nach Maschinenöl. David, 12, steckt in einem grauen Kittel, die Ärmel aufgekrempelt. Er klappt das Visier seines Schutzhelms vors Gesicht, geht in die Hocke und schweißt ein Metallgitter an die Vorderachse eines roten Kettcars. Grellweiß leuchtet die Schweißflamme, bloß nicht mit ungeschützten Augen reingucken. „Es wird ein Trittbrett, da sollen mal große Fahrer ihre Füße abstellen können“, erklärt David. „Wird toll“, murmelt er noch und beugt sich wieder über das Tretauto mit Kettenantrieb. Es sind seine ersten Erfahrungen mit dem Schweißen. Noch gibt es Probleme mit dem Schweißdraht, der mal zu kurz und mal zu lang ist. Rasch kommen Tipps und Unterstützung von Davids vier Mitstreitern. Die fünf Jungs wollen das alte Kettcar nicht nur aufhübschen, sondern auch mit einem Elektromotor versehen. „Wir werden noch acht, neun Stunden brauchen“, schätzt Jonathan, 14. Der hochgewachsene Junge flext Röhren für die Stoßstange zurecht. „Ich baue schon mal den Kuhfänger“, erklärt er und lässt wieder die Funken fliegen. Wie alle anderen Kinder ist auch Jonathan mit einem Schweißkurs bei der OJW eingestiegen und trägt beim Arbeiten Gehörschutz, Handschuhe und Schutzbrille. So haben es alle gelernt. Die Betreuerin der Kettcar-Gruppe ist Kristina Greiff. Sie ist jeden zweiten Samstag hier, auch sie hat mit den Jungs den Schweißkurs belegt. „Das wollte ich schon immer machen, weil ich in meiner Freizeit Lampen herstelle“, erzählt die Ingenieurin. „Ich habe mir einen persönlichen Traum erfüllt und bin auch vom Konzept begeistert. Hier kommen die Jugendlichen vom Handy und von der Spielekonsole weg. Problemlösen, Mitdenken – die Werkstatt bringt ihnen großen Mehrwert.“ Gemeinsam wird das Kettcar-Team bald den Elektromotor einbauen. „Die Teamarbeit ist toll, Junge und Ältere arbeiten zusammen, helfen sich, erklären.“
Das Konzept der OJW beruht auf der TheoPrax-Lehr-Lern-Methode. Sie verbindet Theorie und Praxis ganzheitlich, feinmotorische und handwerkliche Fähigkeiten mit analytischem Denken. Statt Frontalunterricht wird gemeinsam skizziert und probiert, getüftelt und geschraubt. Die Kinder und Jugendlichen lernen, Zusammenhänge zu verstehen, Projekte zu managen und im Team zu arbeiten. „Wir vermitteln den jungen Menschen Fähigkeiten, die später auch im Beruf relevant sind, und bieten ihnen Berufsorientierung“, sagt Vorstand und OJW-Gründer Peter Eyerer. Der emeritierte Professor für Werkstoffkunde an der Universität Stuttgart und ehemalige Leiter des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie steht im grünen Anorak im Steinbruch, in seiner schwarzen Handwerkerhose stecken Zollstock und Stift. „Leider spielt Handarbeit in unserer Gesellschaft eine immer geringere Rolle – außer Wischen“, sagt er und macht mit seinen Fingern in der Luft eine Bewegung wie auf dem Handy. Dabei gelinge Lernen am besten, wenn es mit Hirn, Hand und Herz geschehe. Das habe schon der Schweizer Reformpädagoge Johann Heinrich Pestalozzi vor rund 200 Jahren gelehrt.
Tischkreissäge und Nähmaschine
Hirn, Herz und Hand setzt auch Raphael, 11, ein. Er baut ein mobiles Solarmodul. „Meine Idee war, Strom an Orten zu haben, wo es keine Steckdosen gibt. Wenn ich mit meinen Eltern eine Wanderung mache, kann ich im Wald mein Smartphone aufladen, wenn ich Fotos machen will.“ Kernstück seiner Erfindung ist ein etwa 20 mal 20 Zentimeter großes Solarmodul, auf dessen Rückseite eine kleine Leiterplatte sitzt – und ein Spannungswandler, der für die richtige Stromstärke sorgt. „Zum Aufladen des Smartphones habe ich einen USB-Anschluss eingebaut. Das Solarmodul kann ich auch gut im Zeltlager brauchen. Da setze ich mich in die Sonne und lade das Gerät.“ Je nach Ladezustand könne der Akku nach zirka ein bis zwei Stunden voll sein, schätzt Raphael. Noch fehlen ein Lüfter und ein Schutzkästchen aus dünnen Holzplättchen, das die empfindlichen elektronischen Bauteile ummanteln soll. Der Elfjährige wirft eine Mini-Tischkreissäge an, der Betreuer steht neben ihm. Vorsicht, das Holz klemmt. Maschine anhalten. Nochmal sauber einführen, aufmerksam das Holz an das Sägeblatt heranführen und auf die Finger achten – „sonst sind sie ab“, erklärt Raphael.
Auch Hannah, 9, ist hochkonzentriert. In der Nähwerkstatt arbeitet sie an einem gelben Turnbeutel mit weißen Sternen. Der kleine Raum ist warm und kuschelig, hier ist der einzige Ofen auf dem ganzen Gelände. Denn kalte Hände können nicht feinmechanisch arbeiten. „Mir gefällt das Nähen, ich war schon oft hier und habe auch schon einen Kurs gemacht.“ Sie zieht den gelben Stoff unter dem Steppfuß der Nähmaschine hervor und vernäht die herabhängenden Fäden.
Mittagessenszeit: 26 Ehrenamtliche, Eltern, Kinder und Jugendliche versammeln sich in einer runden Hütte im hinteren Teil des Steinbruchs. Peter Eyerer hat geholfen, Biergarnituren aufzubauen, jetzt dreht er mit einem Backblech die Runde und bietet Kuchen an. Seine Frau hat Schoko- und Aprikosenschnitten gebacken. Die Hungrigen greifen zu und essen nebenher ihre mitgebrachten Brote. Eyerer ist immer ansprechbar, auch in der Mittagspause. Gerade kommt Tom, 15, mit einem verölten Vergaser um die Ecke und holt sich von ihm Tipps. Die beiden beugen die Köpfe über das gute Stück. Nach der Stärkung wird weitergewerkelt.
Aus der Jugendwerkstatt zur Ausbildung?
In der Metallwerkstatt leitet Hubert Doll, Karosseriebauer im Ruhestand, zwei Jungs und ein Mädchen an. Die Gruppe stellt einen Metallmülleimer für Kippen und Wegwerf-E-Zigaretten her. Der hüfthohe, blaugraue Behälter hat bereits die Form einer Zigarettenschachtel bekommen, bald wird er entsprechend bemalt werden – und vor den Umweltgefahren des Raucherabfalls warnen. Doll ist jeden Samstag da. „Unser Bestreben ist es, jungen Menschen Handwerkskünste nahezubringen. Uns sterben sonst die Handwerker aus“, sagt er. Zwei Jungs habe er schon begeistern können, Mechatroniker-Azubi zu werden.
Zwei Ecken weiter hat Tom inzwischen den verschmutzten Vergaser gereinigt. Das Teil gehört zu einem Roller aus dem Bestand der OJW. Der 15-Jährige will das Reparieren lernen und sein eigenes Gefährt später instand halten können. „Die Werkstatt ist toll für so was. Der Roller wird wieder flottgemacht, damit die Leute hier damit fahren können.“ Tom baut den Vergaser ein, startet das Zweirad, und lächelt zufrieden. „Klingt gut!“
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Aus der Stiftung – Bildung
INNOVATIVE WERK!STATT
Mit dem Programm Die Zukunft in die Hand nehmen – Innovative Werk!statt für Kinder
und Jugendliche unterstützen die Stiftung Kinderland und die Wiedeking Stiftung kreative Projekte, die handwerkliche Fähigkeiten junger Menschen fördern. Sie sollen motiviert werden, etwas mit ihren Händen zu schaffen, um so ihre Feinmotorik zu verbessern und ihre Lernfähigkeit zu stärken. www.stiftung-kinderland.de/werkstatt