Aus Prinzip dagegen
Weil der Mensch starke Veränderungen als Kontrollverlust wahrnimmt, tendiert er dazu, sein Weltbild mit einem kräftigen Nein zu schützen. „Wenn es unübersichtlich wird“, so Beck, „gewinnt man durch Ablehnung Kontrolle zurück.“ Besonders vehement lehnt man Dinge ab, die die eigene Identität in Mitleidenschaft ziehen könnten. Verbote etwa, die man als unberechtigten Eingriff in die eigene Entscheidungsfreiheit betrachtet. „Je konkreter und persönlicher es wird, desto prinzipieller lehnen die Menschen Maßnahmen ab.“ Gerade rechte Bewegungen, sagt der Neurobiologe, bedienten sich des KontrollverlustNarrativs. In ihren Augen ist die Welt so unübersichtlich geworden, dass keiner mehr durchblickt. „Und dann wird behauptet, man müsse die Kontrolle zurückgewinnen.“ Take back control sei der Slogan des Brexits gewesen und um diese Form von „Komplexitätsreduktion“ gehe es den Populisten. „Simple Antworten verfangen in einer unübersichtlichen Welt am besten.“
Der Nabel der Welt
Einer der häufigsten Fehler von uns Menschen ist es, die Aufmerksamkeit anderer für uns selbst und unseren Standpunkt zu überschätzen. Spotlight-Effekt nennen das die Psychologen, sagt Beck: das Gefühl, immer im Mittelpunkt zu stehen. Den gebe es nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gruppen oder Nationen. Allzu oft würden Länder ihre eigene Sicht der Dinge hoffnungslos überbewerten. Eng damit verwandt ist laut Beck die Transparenz-Illusion. Der Begriff steht für den weit verbreiteten Irrglauben, unser Denken sei für alle anderen transparent und nachvollziehbar. Ergo: Die anderen müssten doch verstehen, was wir meinen, unsere Ansichten müssten doch bei allen verfangen. Das Gegenmittel? Wenn man Menschen überzeugen wolle, müsse man seine Position nicht nur begründen – sondern auch schlüssig erklären, sagt Beck. Das werde gern vergessen. Und oft stelle man beim Versuch, etwas zu erklären, erst fest, wie wenig man selbst von der Materie verstehe. Wer mal versucht hat, einem Kleinkind zu erklären, wie ein Blitz entsteht, ahnt, was Beck meint. „Illusion der Erklärungstiefe“ nennt das die Psychologie.
Das Individualisieren von Meinungen
Wer die beschriebenen Denkweisen auf die Spitze treibt, so Beck, endet oft in einer durch maßgeschneiderte Medien hermetisch abgeriegelten Weltsicht. Denn genau darauf beruhten ja die Geschäftsmodelle jener Medien, die sich fälschlicherweise sozial nennen, aber auf immer stärkere Individualisierung abzielten. Jeder Nutzer baue sich eine eigene Welt mit seinen Nachrichten, seiner Musik, seinen Filmen. Für Henning Beck läuft diese Vereinzelung letztendlich auf eine Zersetzung der Gesellschaft hinaus. Er komme, sagt er, gerade von einer Veranstaltung über künstliche Intelligenz. „Da ging es genau um diese Themen. Wie kann man Produkte, Kampagnen, Inhalte entwickeln, die für jeden ganz individuell funktionieren?“ Zu Ende gedacht, säße jeder irgendwann in seinem eigenen digitalen Käfig.
Kein Grund zur Schockstarre
Klingt schrecklich? Und ob. Aber – und darauf legt Henning Beck großen Wert – die Fallen, die er beschreibt, sind kein Grund zur Schockstarre. Denn die gute Nachricht bei all dem ist: Wir haben viel mehr Grund zum Optimismus, als wir denken. Nicht weil die Krisen kleiner sind, als wir glauben, sondern weil unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, eigentlich viel größer ist, als wir ahnen. Denn wer sich eingefahrene Denkmuster bewusst macht, kann sie auch überwinden. Sehr einfach umzusetzen sind auch Becks weitere Ratschläge, wie wir uns besser gegen die Gesetze der Dummheit wappnen können: öfter mal den Sender wechseln oder eine andere Zeitung lesen, um andere Blickwinkel kennenzulernen. Auch Reisen und Begegnungen mit Menschen aus anderen Milieus und Altersgruppen helfen. Zu guter Letzt empfiehlt der Hirnforscher noch ein Instrument, „mit dem wir trainieren können, wieder langsam und fokussiert zu denken“. Das, so Beck, „grandios unterschätzte“ Heilmittel heißt Buch und ist in seinem Fall 253 Seiten lang.