Wie wir Denkfehler vermeiden
Barrieren überwinden

Warum kriegen wir Menschen so vieles nicht gebacken? Es mangelt uns ja nicht an klugen Lösungsvorschlägen für die Probleme unserer Zeit. Doch immer wieder scheitern wir an Denkfehlern, die uns ausbremsen. Der Neurowissenschaftler Henning Beck geht diesem Phänomen auf den Grund.

Gero Günther
Lesedauer: 5 Minuten

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Mit Irrtümern und Fehlern beschäftigt sich Henning Beck besonders gern. Nachdem der Neurobiologe 2014 in seinem Buch Hirnrissig mit den populärsten Mythen über das Gehirn aufräumte und sich später mit der Unkonzentriertheit des Menschen auseinandersetzte, widmet sich Beck in seinem neuesten Werk unserer Unfähigkeit, auf die gigantischen Herausforderungen unserer Zeit angemessen zu reagieren. In den 12 Gesetzen der Dummheit entlarvt der Hirnforscher Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen verhindern – in der Politik und bei uns allen.

Am Anfang von Becks Auseinandersetzung mit der Dummheit stand eine Mischung aus Verzweiflung und Empörung. „Wir rühmen uns, in ach so aufgeklärten Zeiten zu leben. Wenn man sich aber ansieht, wie sich Menschen tatsächlich verhalten, kommt man sich bisweilen vor wie im Mittelalter.“ In einem postwissenschaftlichen Zeitalter also, in dem „die Menschen jeden Schwachsinn glauben“ und der Shitstorm den Pranger ersetzt. „Von wegen mündig und vernünftig!“

Was zunächst nach einer niederschmetternden Lektüre klingt, ist eigentlich ein Mutmacher­Buch, denn Beck ist Optimist aus Prinzip. In der Neurowissenschaft, so der 40­Jährige, unterscheide man zwischen Menschen, die Probleme für lösbar halten, und „Leuten, die an eine schicksalhafte Entwicklung glauben“, ergo Pessimisten. „Alle Untersuchungen zeigen, dass Optimisten länger leben und in fast allen Lebensbereichen erfolgreicher sind.“

Optimismus schärfe auch den Blick dafür, wie wir Barrieren in unseren Köpfen überwinden können. „Viele Ideen, die wir derzeit verfolgen, funktionieren nicht“, sagt Beck, „weil sie die Grundlagen des menschlichen Denkens unberücksichtigt lassen.“ Sprich, eine Lösung, die auf dem Reißbrett wunderbar funktioniert, ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie vergisst, „wie der Mensch tickt“. Und genau darin besteht ja Becks Expertise. Dies sind ihm zufolge einige der Schlüsselmuster, die die Menschheit besonders dumm aussehen lassen.

Die Freude am Pessimismus
Menschen, so Henning Beck, haben ein großes Talent dafür, sich auszumalen, wie sich Probleme verschärfen werden. „Leider sind wir andererseits aber kaum fähig, uns vorzustellen, welche Lösungen in der Zukunft parat stehen könnten.“ Als Beispiel nennt er die Pandemie. „Hätte uns jemand im Jahr 2000 beschrieben, dass es etwas wie einen Lockdown geben würde, wären wir in blankes Entsetzen verfallen.“ Aber, fährt Beck fort, wir hätten uns eben auch nicht vorstellen können, dass in der Welt von 2020 Streamingdienste, Videokonferenzen und Onlinebestellungen bereitstehen würden, um mit den Kontaktsperren besser fertig zu werden. „Uns fehlt“, sagt Beck, „die Vorstellungskraft, dass wir in 20, 30 Jahren mit ganz anderen Mitteln an eine Situation herangehen werden.“ Das sei auch der Grund, warum wir Pessimisten für besonders schlau halten. „In den Talkshows kommen die Schwarzmaler immer besonders clever rüber.“ Becks Satz „Menschen überschätzen den Fortbestand eines Problems in der Zukunft“ hat etwas Tröstliches, wenn wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Warum uns Zukunft egal ist
Nächster Denkfehler: Wer seine Argumentation auf dem Wohl zukünftiger Generationen aufbaut, etwa in Bezug auf den Klimawandel, verschwendet seine Energie. Aus neurobiologischer Sicht, meint Henning Beck, solle man sich lieber auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Wolle man Menschen davon überzeugen, etwas zu ändern – etwa klimafreundlicher zu leben –, müsse die Frage immer sein: Welche Vorteile haben wir davon schon jetzt oder in unmittelbarer Zukunft? Alles andere sei vergeudete Zeit. Das liegt daran, sagt der Wissenschaftler, dass wir Schwierigkeiten haben, uns unser eigenes Ich in der Zukunft vorzustellen. An der Person, die wir in 30 Jahren sein werden, verlieren wir schnell jegliches Interesse. Die Aktivität im vorderen Bereich der Großhirnrinde, unserem Aufmerksamkeitszentrum, erklärt Beck, sei signifikant höher, wenn wir an unser gegenwärtiges Ich denken, als wenn wir uns mit unserem zukünftigen Ich beschäftigen. Die Konsequenz? „Im Grunde nehmen wir die zukünftige Menschheit als Fremde wahr. Warum sollte ich mich also für diese Leute einsetzen?“

Keine Lust auf Risiko
Eine Dummheit, die in Deutschland besonders stark verbreitet ist, sagt Henning Beck, sei die mangelnde Bereitschaft, Risiken einzugehen. Ganz egal übrigens, wie gering sie tatsächlich sind. Für Menschen sei es schwierig, Risiken richtig einzuschätzen, das hätten Studien gezeigt. „Wir haben kein Gespür für Wahrscheinlichkeiten, realisieren also nicht, was 1 : 1.000 bedeutet, sondern fühlen nur die Angst, dass etwas eintreffen könnte, was uns bedroht.“ Hierzulande, so der Hirnforscher, seien wir besonders risikoavers und „Deutschland ist eines der wenigen Länder, in dem die Angst vor Verlust zunimmt, je wohlhabender eine Person ist“. Dass sich die Menschen ausgerechnet in einem reichen und sicheren Land so stark vor der Zukunft fürchten, betrachtet Beck als Paradox. Ein Großteil der Deutschen glaube, dass Technologie mehr Probleme schafft, als sie löst. „Wie will ich denn da eine Zukunft gestalten?“ Statt nur Risiken abzuwägen, so Beck, solle man stärker die Chancen ins Auge fassen, die eine Zukunftstechnologie bieten kann.

Aus Prinzip dagegen
Weil der Mensch starke Veränderungen als Kontrollverlust wahrnimmt, tendiert er dazu, sein Weltbild mit einem kräftigen Nein zu schützen. „Wenn es unübersichtlich wird“, so Beck, „gewinnt man durch Ablehnung Kontrolle zurück.“ Besonders vehement lehnt man Dinge ab, die die eigene Identität in Mitleidenschaft ziehen könnten. Verbote etwa, die man als unberechtigten Eingriff in die eigene Entscheidungsfreiheit betrachtet. „Je konkreter und persönlicher es wird, desto prinzipieller lehnen die Menschen Maßnahmen ab.“ Gerade rechte Bewegungen, sagt der Neurobiologe, bedienten sich des Kontrollverlust­Narrativs. In ihren Augen ist die Welt so unübersichtlich geworden, dass keiner mehr durch­blickt. „Und dann wird behauptet, man müsse die Kontrolle zurückgewinnen.“ Take back control sei der Slogan des Brexits gewesen und um diese Form von „Komplexitätsreduktion“ gehe es den Populisten. „Simple Antworten verfangen in einer unübersichtlichen Welt am besten.“

Der Nabel der Welt
Einer der häufigsten Fehler von uns Menschen ist es, die Aufmerksamkeit anderer für uns selbst und unseren Standpunkt zu überschätzen. Spotlight-Effekt nennen das die Psychologen, sagt Beck: das Gefühl, immer im Mittelpunkt zu stehen. Den gebe es nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gruppen oder Nationen. Allzu oft würden Länder ihre eigene Sicht der Dinge hoffnungslos überbewerten. Eng damit verwandt ist laut Beck die Transparenz-Illusion. Der Begriff steht für den weit verbreiteten Irrglauben, unser Denken sei für alle anderen transparent und nachvollziehbar. Ergo: Die anderen müssten doch verstehen, was wir meinen, unsere Ansichten müssten doch bei allen verfangen. Das Gegenmittel? Wenn man Menschen überzeugen wolle, müsse man seine Position nicht nur begründen – sondern auch schlüssig erklären, sagt Beck. Das werde gern vergessen. Und oft stelle man beim Versuch, etwas zu erklären, erst fest, wie wenig man selbst von der Materie verstehe. Wer mal versucht hat, einem Kleinkind zu erklären, wie ein Blitz entsteht, ahnt, was Beck meint. „Illusion der Erklärungstiefe“ nennt das die Psychologie.

Das Individualisieren von Meinungen
Wer die beschriebenen Denkweisen auf die Spitze treibt, so Beck, endet oft in einer durch maßgeschneiderte Medien hermetisch abgeriegelten Weltsicht. Denn genau darauf beruhten ja die Geschäftsmodelle jener Medien, die sich fälschlicherweise sozial nennen, aber auf immer stärkere Individualisierung abzielten. Jeder Nutzer baue sich eine eigene Welt mit seinen Nachrichten, seiner Musik, seinen Filmen. Für Henning Beck läuft diese Vereinzelung letztendlich auf eine Zersetzung der Gesellschaft hinaus. Er komme, sagt er, gerade von einer Veranstaltung über künstliche Intelligenz. „Da ging es genau um diese Themen. Wie kann man Produkte, Kampagnen, Inhalte entwickeln, die für jeden ganz individuell funktionieren?“ Zu Ende gedacht, säße jeder irgendwann in seinem eigenen digitalen Käfig.

Kein Grund zur Schockstarre
Klingt schrecklich? Und ob. Aber – und darauf legt Henning Beck großen Wert – die Fallen, die er beschreibt, sind kein Grund zur Schockstarre. Denn die gute Nachricht bei all dem ist: Wir haben viel mehr Grund zum Optimismus, als wir denken. Nicht weil die Krisen kleiner sind, als wir glauben, sondern weil unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen, eigentlich viel größer ist, als wir ahnen. Denn wer sich eingefahrene Denkmuster bewusst macht, kann sie auch überwinden. Sehr einfach umzusetzen sind auch Becks weitere Ratschläge, wie wir uns besser gegen die Gesetze der Dummheit wappnen können:  öfter mal den Sender wechseln oder eine andere Zeitung lesen, um andere Blickwinkel kennenzulernen. Auch Reisen und Begegnungen mit Menschen aus anderen Milieus und Altersgruppen helfen. Zu guter Letzt empfiehlt der Hirnforscher noch ein Instrument, „mit dem wir trainieren können, wieder langsam und fokussiert zu denken“. Das, so Beck, „grandios unterschätzte“ Heilmittel heißt Buch und ist in seinem Fall 253 Seiten lang.

Henning Beck

Henning Beck, Jahrgang 1983, studierte Biochemie in Tübingen, wo er 2012 im Fach Neurowissenschaften promovierte. In Berkeley machte er zusätzlich einen Abschluss in Projektmanagement, um anschließend Start-up-Firmen in Kalifornien zu beraten. Beck hat zahlreiche Bücher geschrieben, ist Kolumnist für verschiedene Medien, hält Vorträge und bietet Seminare und Workshops an. Sein Buch 12 Gesetze der Dummheit ist bei Econ erschienen.