Wolf Hockenjos, geboren 1940, war ein Vierteljahrhundert lang Forstamtsleiter in Villingen. Er ist Naturschützer, passionierter Fotograf und Autor mehrerer Bildtextbände. Zuletzt erschien sein Buch Wo Wildnis entsteht – ein persönliches Plädoyer für Bannwälder und eine Hommage an seinen Vater Fritz Hockenjos, der den Anstoß für den ersten Bannwald Badens am Zweribach gab.
Interview
Ungezähmte Energie
Die Wutachschlucht gilt als Grand Canyon des Schwarzwalds. Dass ihre Schönheit erhalten blieb, ist der ersten Bürgerinitiative in der Geschichte der Bundesrepublik zu verdanken. In den 1950er-Jahren verhinderte dort der Förster Fritz Hockenjos ein Staudammprojekt. Sein Sohn Wolf erinnert sich und erklärt, wie er die heutige Klimaschutzbewegung sieht.
Herr Hockenjos, was ist für Sie das Besondere an der Wutachschlucht?
Das ist schwierig in einem Satz zu beschreiben. Zum einen ist da ihre geologische und ökologische Bedeutung. Die Wutach ist der letzte Wildfluss des Schwarzwalds, die zugehörige Schlucht ein noch sehr junges Flusstal. Sie entstand nach der letzten Eiszeit, als sie quasi aus der Ur-Donau ausbrach. Weil sie fast alle Gesteinsschichten Südwestdeutschlands durchgräbt, vom kristallinen Grundgebirge bis zum Muschelkalk, ist sie ein einzigartiges Biotop für Flora und Fauna. Zum anderen verbinde ich mit der Wutach auch ganz persönliche Erinnerungen.
Sie wuchsen nahe der Schlucht im Forsthaus von St. Märgen auf, etwa 20 Kilometer östlich von Freiburg im Hochschwarzwald. Dort befindet sich auch der Zweribach, der älteste Bannwald Badens. Ein Totalreservat, in das der Mensch nicht eingreifen darf.
Heute noch muss ich beim Duft von Grünerlen an die Sommer meiner Kindheit am Zweribach denken. Aber auch der Pfisterwald beim Forsthaus war unser Abenteuerspielplatz, wo wir Baumhäuser bauten und Indianerkämpfe bestritten. Dass das Zweribachtal unter Schutz gestellt wurde, geht auf die Initiative meines Vaters zurück. Die Wutachschlucht ist leider nicht als Bannwald ausgewiesen. Vielleicht will man die bis zu 100.000 Touristinnen und Touristen im Jahr nicht gefährden. Für die wurden so viele Hinweis- und auch Verbotstafeln aufgestellt, dass einem die Wildnis da und dort geradezu möbliert erscheint. Unser Vater liebte die Wutachschlucht. Er kam von dort oft mit dreckigen Stiefeln nach Hause.
Ihr Vater Fritz war Forstamtsleiter in St. Märgen. Ab den 50er-Jahren setzte er sich sehr für den Schutz der Wutachschlucht ein.
Es ging um alte Pläne der Schluchseewerk AG aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die Wutach abzuleiten und in ihre Speicherkraftwerke einzugliedern. Der obere Teil der Schlucht sollte durch eine 62 Meter hohe Mauer gestaut und das Wasser durch einen 20 Kilometer langen Stollen zum Kraftwerk Witznau abgeleitet werden. Und das, obwohl das Flusstal seit 1939 unter Naturschutz stand. Die Schluchseewerk AG hatte am geplanten Ort der Staumauer schon erste Erkundungsschürfungen durchgeführt. Weil der Einspruch der Naturschützer auf dem Verwaltungsweg im Sand verlief, initiierte mein Vater die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Heimatschutz Schwarzwald“. Vom ADAC über die Bergwacht bis hin zum Schwarzwaldverein hatte er als Vorsitzender die Unterstützung von 30 Verbänden organisiert. So konnte man auf die Landesregierung Druck ausüben. Es ging über mehrere Jahre hoch her.
Was haben Sie, 1940 geboren, davon als Jugendlicher miterlebt?
Meine ersten Erinnerungen sind die Fotoexkursionen mit dem Vater in den Wald. Er hielt dann Vorträge über die Wutachschlucht, und auch da haben meine zwei Brüder und ich ihn ab und zu begleitet. Wir schoben Dias durch den Projektor, in vielen Wirtshaussälen und an der Uni Freiburg. „Rettet die Wutachschlucht“ lautete das Motto der Initiative, das auf Plakaten und Broschüren gedruckt wurde. Es gab auch zahlreiche Exkursionen in die Schlucht.
Die intensive Öffentlichkeitsarbeit hatte Folgen, das Regierungspräsidium Südbaden – heute: Freiburg – sprach damals von einer wahren „Volksbewegung“. Wie reagierte die Gegenseite?
Im Februar 1955 gab es eine äußerst turbulente Kundgebung an der Uni Freiburg, bei der ich dabei war und wo es zu einem ziemlichen Tohuwabohu kam. Die Schluchseewerk AG hatte zwei Busladungen Arbeiter und Angestellte hingebracht, die sich mit Buhrufen, Pfiffen und allem Pipapo im „Kampf so vieler Menschen um Arbeit und Brot“ gegen eine „Überspitzung des Naturschutzgedankens“ stellen sollten. Ein Plakat zeigte, wie schön es doch wäre, mit einem Boot auf dem Stausee zu segeln, und wie das alles doch die Wutach gar nicht berührte. Fakt ist aber, dass die Schlucht sich beim Ausbleiben des Frühjahrshochwassers allmählich selbst zugeschüttet hätte.
Ihr Vater hat mit der Arbeitsgemeinschaft 185.000 Unterschriften gegen das Projekt gesammelt – eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, dass es keine Vorbilder gab.
Ja, man muss sich vergegenwärtigen, dass die Zeiten des „Wirtschaftswunders“ im Zeichen der industriellen Hochkonjunktur standen und Naturschutz da eigentlich noch kaum eine Rolle spielte. Man setzte damals ja auch noch unter Naturschützerinnen und Naturschützern große Hoffnungen in die Atomindustrie: Warum, hieß es, brauchen wir noch Speicherwasserkraftwerke, wenn es bald unermesslichen Atomstrom gibt?
Gab die „Volksbewegung“ den Ausschlag, dass die Staudammpläne im Jahr 1960 aufgegeben wurden?
Sie hat sicher einiges dazu beigetragen. Aber der damalige Innenminister von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, musste das Projekt schließlich aus einem anderen Grund auf Eis legen: Die Arbeitsgemeinschaft hatte darauf hingewiesen, dass die Baugenehmigung im Naturschutzgebiet nach nationalsozialistischem Recht durch Reichsforstmeister Hermann Göring erteilt worden war. Er hatte 1941 als oberste Naturschutzbehörde dem Staudammbau zugestimmt, was nicht rechtens war.
Sie erlebten später selbst als Förster das Waldsterben und die Entstehung der Umweltschutz- und der Anti-Atomkraft-Bewegung. Wie standen Sie dazu?
Als Forstmann war man da mittendrin. Im Jahr 1984 hatte ich den Bildtextband Tännlefriedhof veröffentlicht und darin das Waldsterben dokumentiert. Gegen das Sterben der Wälder gab es 1986 auch noch eine Großkundgebung auf dem Thurner bei St. Märgen, veranstaltet von der „Initiative Schwarzwald“, einem Zusammenschluss von 36 Verbänden und Organisationen. Sogar Bundespräsident Richard von Weizsäcker war damals vor Ort, dem ich die Symptome des Waldsterbens zu zeigen hatte. Aber die Sorge um den Wald trat dann durch die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl in den Hintergrund. Mit der Anti-Atomkraft-Bewegung hatte ich seit den 70er-Jahren klammheimlich sympathisiert.
Wie beurteilen Sie die heutigen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten?
Einerseits hege ich, wie damals für die Anti-Atomkraft-Bewegung, durchaus Sympathien für die jungen Leute. Denn die Bedrohung von Umwelt, Landschaft und Natur ist ja ungleich stärker geworden. Doch bedrohlich wird halt auch die Windindustrie und die damit verbundene Industrialisierung in den letzten naturnahen und touristisch reizvollen Landschaften wie dem Schwarzwald. Da sage ich: Windkraft ja – aber bitte dort, wo es sinnvoll und die Landschaft bereits vorbelastet ist, beispielsweise an Autobahnen. Weil für Wind- und Solarstrom die Speicher fehlen, mache ich mir Sorgen, dass womöglich die alten Pläne der Schluchseewerk AG angesichts der nationalen Energienot nun doch wieder aus der Schublade geholt werden könnten. Man weiß ja nie.
Aus der Stiftung – Klimaschutzstiftung
Die Klimaschutzstiftung unterstützt Unternehmen und Handwerksbetriebe wie die Obere Mühle Gosbach (Landkreis Göppingen) bei einem verantwortungsvollen Umgang mit ihren CO2 Emissionen. Die Mühle wurde bereits zweimal als klimaneutraler Betrieb ausgezeichnet. Unter anderem produziert sie ihren Strom aus Wasserkraft und kompensiert weitere Emissionen über Bergwaldprojekt e. V.
Mehr unter: klimaschutzstiftung-bw.de