vom guten Umgang mit schlechten Nachrichten
Digitale Resilienz

Nichts als Krisen und Kriege, Terror und Tragödien: So erscheint es uns oft, wenn wir Nachrichten sehen oder in sozialen Medien unterwegs sind. Aber ist die Welt wirklich so schlecht? Und was macht die Flut negativer Nachrichten mit uns?

Isabel Stettin
Lesedauer: 4 Minuten

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Um zu verstehen, wie schlechte Nachrichten im Fernsehen oder auf Facebook auf uns wirken, muss man weit zurückblicken. Genauer gesagt: in die Steinzeit. Seit jener Zeit tragen wir Menschen einen Fokus auf das Negative in uns – das sagen Expertinnen und Experten wie die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. „Negativity Bias“ nennen sie das Phänomen. Wir reagieren intensiver auf schlechte Nachrichten als auf gute und wir schenken dem Negativen mehr Aufmerksamkeit. Einst war das eine gute Sache – der Fokus auf Bedrohungen sicherte unser Überleben. Denn eine übersehene Gefahr konnte schnell tödlich sein, wenn der Säbelzahntiger lauerte.

Unser Steinzeithirn ist überfordert
Und heute? Ist unser Steinzeithirn von der modernen Informationslandschaft hoffnungslos überfordert, wie Urner in ihrem Buch Schluss mit dem täglichen Weltuntergang beschreibt. Journalistinnen und Journalisten wählen mit Vorliebe negative Nachrichten aus. „If it bleeds, it leads“ – „Wenn es blutet, wird es zur Schlagzeile“ – lautet eine alte Redaktionsweisheit. Hohe Klickzahlen für reißerische Katastrophen-News treiben die Negativspirale an und die Algorithmen der Social-Media-Kanäle potenzieren den Effekt. Denn das sorgt für höhere Reichweiten, Verweildauern – und damit Werbeeinnahmen.

Die Gefahren liegen auf der Hand: „Doomscrolling“, also das exzessive Konsumieren negativer Nachrichten im Netz, kann Stress und Depressionen auslösen oder verschlimmern, darauf weist etwa Matthew Price, Psychologe an der Universität Vermont, hin. Doch die Effekte reichen noch weiter. Die Negativspirale kann auch dazu führen, dass Menschen ins andere Extrem umschlagen – und sich vom Weltgeschehen abwenden. Diese Nachrichtenmüdigkeit, „News Fatigue“, ist in Studien insbesondere bei jungen Menschen feststellbar. Beim Nachrichtenkonsum eine Pause einzulegen wäre an sich nichts Schlechtes, für die mentale Gesundheit sogar zu empfehlen. Doch die News Fatigue führt schlimmstenfalls dazu, dass Menschen resignieren.

Wer viel schlechte Nachrichten konsumiere, gerate in einen Zustand „gelernter Hilflosigkeit“, erläutert die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem Buch Wie wir die Welt sehen, das sich mit der medialen Negativspirale befasst. Man schätze die Welt als gefährlicher ein, als sie ist – und man bekomme das Gefühl, nichts am Zustand der Welt ändern zu können, selbst wenn das gar nicht stimme. „Wir wenden uns ab von den Medien und, was noch folgenreicher ist, von gesellschaftlichen Problemen allgemein“, schreibt Wurmb-Seibel. Das führe zu weniger Beteiligung und gefährde die Demokratie. Auch treffen Menschen, die ständig ängstlich sind, Entscheidungen nicht bedacht, sondern mit dem kurzfristigen Blick des Krisenmodus, wie Maren Urner beschreibt.

Verstärkt werden derlei Effekte durch Fake News und Desinformation. Der Einsatz künstlicher Intelligenz vereinfacht das Erstellen gefälschter Fotos und Videos massiv. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sieht im Gespräch mit ZDF heute deshalb die Gefahr einer „neuen Dimension von Vertrauenskrisen“ auf uns zukommen. Ethische Standards für den Einsatz von KI-generierten Inhalten werden immer wieder gefordert. Antworten, auch seitens der Politik, fehlen bislang weitgehend.

Was also ist zu tun? Soziale Netzwerke stärker regulieren und Medienkompetenz schon in der Schule stärken – das fordern Experten einhellig. Doch auch die Macher klassischer Nachrichten sollten nicht aus der Pflicht entlassen werden: der Pflicht zu einer ausgewogenen und unaufgeregten Berichterstattung – als Gegengewicht zu den sozialen Medien. Wurmb-Seibels Vorschlag an Medienmacher ist, über Missstände und Probleme zu berichten, aber auch Perspektiven einzubringen, wie wir damit umgehen können.

Wir haben mehr Grund für Optimismus, als wir denken. Denn oft schätzen wir die Lage in der Welt und in Deutschland schlechter ein, als sie tatsächlich ist. Das zeigen viele Untersuchungen. So schätzten die Deutschen in einer Umfrage etwa die Arbeitslosigkeit drastisch zu hoch ein. Auch hielten sie Deutschland nur für die neuntgrößte Volkswirtschaft. In Wahrheit lag Deutschland zum Umfragezeitpunkt im internationalen Vergleich auf Platz vier (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe sogar auf Platz drei).

Quelle:­ Ipsos-MORI-Umfrage „Perils of Perception“, 2018.

Nicht depressiv werden
Natürlich kann auch der Einzelne lernen, mit seinem „Negativity Bias“ umzugehen: Wurmb-Seibel hält es für durchaus möglich, politisch informiert zu bleiben, ohne ständig niedergeschlagen zu sein. Statt Schlagzeilen und Push-Nachrichten liest sie ausgewählte Hintergrundanalysen, Berichte und Sachbücher zur Klimakrise, zu Rassismus oder sozialer Ungleichheit.

Wurmb-Seibel betont in einem Interview mit dem Portal web.de aber auch, was für ein Privileg es ist, „Nachrichten zu haben und auch die Wahl zu haben, sie auszuschalten“. In vielen Ländern gebe es die Pressefreiheit und all die Informationen nicht. „Gleichzeitig heißt dieses Privileg nicht, dass wir zehn Stunden am Tag mitleiden sollten.“ Nicht, weil Mitgefühl schlecht sei, sondern weil das niemandem etwas bringe, erklärt sie: „Solidarität und Unterstützung können wir nur leisten, wenn wir selbst stabil sind.“
 

„Eine Konsequenz aus dem Konsum hauptsächlich negativer Nachrichten ist, dass wir Missstände als unveränderlich betrachten und nicht als temporäre, änderbare Zustände. Irgendwann stecken wir in einem Zustand gelernter Hilflosigkeit fest.“
Ronja von Wurmb-Seibel

Studien: Zu viel des Schlechten

Bad news are good news – das paradoxe Verhältnis unserer Psyche zu schlechten Nachrichten ist in zahlreichen Studien untersucht worden. Wie sehr uns negative Schlagzeilen anziehen, zeigt eine Untersuchung unter Beteiligung der Ludwig-Maximilians-Universität München aus dem vergangenen Jahr. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass Überschriften online deutlich häufiger geklickt werden, wenn sie negativ konnotierte Wörter (wie „falsch“, „schlecht“ oder „abscheulich“) enthielten. Bereits 2019 belegte eine Untersuchung in 17 Ländern, dass Menschen negative TV-Nachrichten aufmerksamer und erregter verfolgen als positive.

Doch unsere enorme Aufmerksamkeit für das Negative brennt uns auch aus. Darauf deutet das Ergebnis des Digital News Report 2023 des Reuters Institute hin: Jeder zehnte deutsche Internetnutzer im Alter ab 18 Jahren versucht oftmals aktiv, die Nachrichten zu vermeiden; 65 Prozent versuchen dies mindestens gelegentlich.

Quellen:

Robertson, C. E. et al., Negativity drives online news consumption. Nature Human Behaviour, 2023.
Soroka, S. et al., Cross­national evidence of a negativity bias in psychophysiological reactions to news, PNAS journal, 2019.
Reuters Institute Digital News Report, 2023.

Was tun gegen Fake News und digitalen Stress? Fünf Tipps vom Vocer Institut für Digitale Resilienz

Kontrollieren Sie auf Ihrem Smartphone regelmäßig Ihre digitale Bildschirmzeit. Stellen Sie diese den Tätigkeiten gegenüber, für die Sie beruflich oder privat gerne mehr Ihrer wertvollen Zeit aufbringen würden.

 

Bleiben Sie selbstbestimmt. Stellen Sie das Smartphone auf lautlos, deaktivieren Sie alle Push-Nachrichten und den Vibrationsalarm.

Befreien Sie sich vom suchtartigen Checken von Nachrichten- und Social-Media-Apps. Nutzen Sie Nachrichtenmedien nur ein- bis zweimal am Tag zu festen Zeiten, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen: zum Beispiel morgens und abends, je 20 Minuten. Oder Sie setzen sich eine maximale Anzahl an Artikeln oder Videos pro Tag.

Trennen Sie sich von Zeitfressern, die Sie nicht brauchen: zum Beispiel Apps, die Ihnen im Alltag keinen echten Mehrwert bieten. Wer sich von (einigen) Social­Media­Anwendungen trennen kann, wird überrascht feststellen: „Mir fehlt nichts.“

In den Einstellungen Ihres Smartphones können Sie Ihre Bildschirmanzeige auf Schwarz­Weiß oder Graustufen umschalten. Es ist verblüffend, wie viel geringer das eigene Suchtverhalten ist, wenn Signalfarben wegbleiben.

Mehr Tipps unter: www.digitale-resilienz.org