Schutz gewähren

Wollen wir in der Zukunft vor Katastrophen geschützt sein, müssen wir vorausschauender und vernetzter handeln. Wir müssen wachsam sein, aber auch eine alte Tugend neu entdecken: das Vertrauen ineinander.

Nora Chin
Lesedauer: 4 Minuten

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Vier Jahrzehnte lang hat Hermann Schröder sein Leben dem Schutz der Menschen in Baden-Württemberg gewidmet. Als Feuerwehrmann, Landesbranddirektor und Leiter der Abteilung „Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement“ im Innenministerium musste der heute 67-Jährige zahlreiche kritische Situationen meistern. Im Interview verrät er, was er über Menschen in Krisensituationen gelernt hat, wofür Baden-Württemberg sich wappnen muss– und weshalb es ohne Vertrauen keine Sicherheit geben kann.

Herr Schröder, welche Erlebnisse haben Sie am meisten geprägt?


HERMANN SCHRÖDER Als Feuerwehrmann und als Landesbranddirektor habe ich immer wieder Einsätze erlebt, die mit viel Leid verbunden waren und mich sehr betroffen gemacht haben. Ein solcher Einsatz, an den sich viele Baden-Württemberger noch erinnern, war beispielsweise der Brand in einer Behindertenwerkstatt in Titisee-Neustadt im Jahr 2012, bei dem 14 Menschen ihr Leben lassen mussten. Es sind nicht nur die öffentlichkeitswirksamen Ereignisse, meist sind es die kleinen Einsätze, die Spuren hinterlassen und einen nur schwer wieder loslassen.

Im Innenministerium gingen Ihre Aufgaben noch über die der Feuerwehr hinaus …

HS Ja, große Herausforderungen waren etwa die Flüchtlingswelle und die Corona-Pandemie. Als zwischen 2014 und 2016 die Zahl der Asylsuchenden anstieg und in Spitzenzeiten bis zu 1.000 Menschen am Tag nach Baden-Württemberg kamen, waren wir im operativen Stab der Landesregierung zur Flüchtlingsaufnahme zeitweise Tag und Nacht gefordert. Auch die Pandemie brachte bis dato nicht gekannte Herausforderungen mit sich. Jede und jeder war betroffen, und dies weltweit. Was als Gesundheitskrise begann, wurde zum Stresstest für die ganze Gesellschaft.

Wie gehen Sie selbst mit solchen Belastungen um?

HS Im Einsatz durchlaufen wir immer wieder mehrere Phasen. Zu Beginn agiert man intuitiv – man erfasst die Situation und tut, was notwendig ist und was intensiv eingeübt wurde. Gerade in unserem Metier ist es wichtig, Mechanismen zur Stressvermeidung und -bewältigung zu erlernen, um sich während des Einsatzes aus der Stresssituation zu lösen. Wenn dann später etwas Ruhe eingekehrt ist, wird man sich der menschlichen Tragik bewusst. Manche Einsätze haben mich lange verfolgt. Nach belastenden Erlebnissen war es für mich hilfreich, mit der Familie, mit Freunden oder mit Kolleginnen und Kollegen über das Erlebte zu sprechen.

Was haben Sie in all den Jahren über die Resilienz der Menschen – insbesondere in Baden-Württemberg – gelernt?

HS Sowohl in der Pandemie als auch während der Flüchtlingswelle konnten wir alle beobachten, dass die Menschen bereit sind, sich gegenseitig zu unterstützen, zu helfen und Lösungen zu finden. Mich hat beeindruckt, wie schnell etwa die Beschäftigten in den Behörden vom normalen Arbeitsmodus in den Krisenmodus gewechselt sind, was natürlich mit einer extremen Mehrbelastung einherging. Auch in der Bevölkerung war die Hilfsbereitschaft groß und es wurde an vielen Stellen selbstlos mitangepackt. Es ist doch schön zu wissen, wie groß der Zusammenhalt in solchen Krisenzeiten sein kann. Dort, wo sich viele Menschen im Ehrenamt einbringen, wie bei uns in Baden-Württemberg, ist dies wohl besonders ausgeprägt.

Wo wir über Krisen sprechen: Welche Bedrohungsszenarien sehen Sie derzeit für die Bevölkerung? Auf welche kritischen Situationen muss sich ein Land wie Baden-Württemberg vorbereiten?

HS Aktuell beschäftigen sich Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement intensiv mit den Auswirkungen des Klimawandels. Wir sprechen hier nicht nur von Waldbränden, auch Niedrigwasserstände der Binnenwasserstraßen und Wassermangel haben uns bereits in den letzten Jahren gefordert. Im Sommer sind die Menschen vor allem in den überhitzten Städten gesundheitlich belastet und benötigen vermehrt die Hilfe des Rettungsdienstes. Wir sollten auch auf weitere Pandemien vorbereitet sein. Und nicht zuletzt drohen uns Cyberattacken, Terrorangriffe und kriegerische Auseinandersetzungen, auch in Europa. Insgesamt  – und das zeigen all diese Szenarien – stehen wir vor der großen Herausforderung, dass die Welt sich immer stärker vernetzt und wir dadurch verletzlicher werden.

Wie muss der Bevölkerungsschutz auf diese wachsende Komplexität und deren Folgen reagieren?

HS Wenn die Bedrohungslage komplexer wird, dann müssen wir auch in der Gefahrenabwehr und im Krisenmanagement die Möglichkeiten einer besseren Vernetzung nutzen. Diese Vernetzung wurde in den letzten Jahren sehr effizient vorangetrieben, gerade auch in Baden-Württemberg. Krisen und Gefahrenlagen sind nicht mehr nur Sache des Bevölkerungsschutzes. Sie werden ressort- und sektorenübergreifend angegangen. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel verdeutlichen: Bei einem großen Waldbrand reicht es nicht aus, die Feuerwehr zu rufen. Schnell treten Fragen auf, ob im gefährdeten Gebiet der Schulbetrieb eingestellt werden muss, ob vielleicht Bahnverbindungen einzustellen sind oder ob Gewerbebetriebe ihre Produktion unterbrechen müssen. Fragen, die neben dem Katastrophenschutz auch die Verantwortlichen aus anderen staatlichen Bereichen betreffen. Zudem machen Krisen nicht an den Landes- und Staatsgrenzen halt. Wir müssen kommunen-, länder- und staatenübergreifend denken und handeln.

Müssen wir als Gesellschaft noch lernen, Krisen als Teil unserer Normalität zu akzeptieren?

HS Wir müssen die Möglichkeit von Krisen bei künftigen Entwicklungen immer mitbedenken – und dem Krisenmanagement ein präventives Risikomanagement zur Seite stellen. Wer beispielsweise autonomes Fahren entwickelt, der muss auch darüber nachdenken, wie ein autonomer Verkehr von außen böswillig fehlgelenkt werden kann – und dagegen Strategien entwickeln. Und wir müssen uns gerade in Krisenzeiten gegenseitig Vertrauen entgegenbringen.

Um das Vertrauen in den Staat war es zuletzt in Deutschland ja nicht immer gut bestellt …

HS In Krisensituationen ist gegenseitiges Vertrauen aber von entscheidender Bedeutung. Wir alle kennen das Gefühl, dass wir in Bedrohungssituationen Schutz bei Menschen suchen, denen wir vertrauen. Es ist Aufgabe jedes Krisenmanagements, dieses Vertrauen herzustellen. Dies gilt für staatliches Handeln ebenso wie für Unternehmen, die von Krisen heimgesucht wurden. Auch innerhalb von Institutionen oder Betrieben müssen sich Führungskräfte und Mitarbeiter in Krisenphasen gegenseitig Vertrauen entgegenbringen. Das ist die entscheidende Grundlage für ein erfolgreiches Krisenmanagement.

Wie kann Vertrauen entstehen?

HS In einer Krise ist es wichtig, dass die Verantwortlichen zeitnah, transparent und wahrhaftig über die Situation informieren. Dies gilt für den Staat ebenso wie für ein Unternehmen. Hilfreich und vertrauensbildend ist es, immer wieder zu erklären, was man tut und warum man dies tut – also klare Informationen darüber zu geben, was gerade geschieht und warum bestimmte Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Menschen wollen keine unrealistischen oder verharmlosenden Prognosen. Wer übermäßige, unbegründete Hoffnungen weckt und Spekulationen schürt, der erntet am Ende nur Misstrauen.

Was können Sie jungen Menschen mitgeben im Umgang mit Krisen?

HS Max Frisch wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Wenn wir nicht immer erst nach Schuldigen suchen, sondern nach effizienten Lösungen streben, werden wir jede Krise bewältigen – dies gilt im Kleinen ebenso wie im Großen, im Persönlichen ebenso wie für unsere gesamte Gesellschaft. Auch wenn uns aktuell viele Sorgen und Probleme plagen, sollten wir uns immer daran erinnern, wie vergleichsweise gut es uns hier in Deutschland doch geht. Wir dürfen auch die Gründe dafür nicht aus den Augen verlieren: unsere Demokratie und unsere Freiheit. Und wenn ich mir die jungen Menschen in unserem Land anschaue, dann bin ich sehr zuversichtlich, dass auch die nachfolgende Generation die Krisen meistern und die Zukunft positiv gestalten wird.

Hermann Schröder

„Mister Bevölkerungsschutz“ – so nannte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl einmal Hermann Schröder. Und Ministerpräsident Winfried Kretschmann lobte Schröders „geradezu übermenschliche Energie“. Bereits 1983 trat Schröder in den Landesdienst ein, er leitete zwölf Jahre lang die Landesfeuerwehrschule und war von 2005 bis 2015 als Landesbranddirektor der ranghöchste Feuerwehrmann im Land. Bis 2022 leitete er die Abteilung Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement im Innenministerium. Schröder erhielt zahlreiche Auszeichnungen für sein Engagement, unter anderem den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg. Anerkennung erfuhr er insbesondere für seinen herausragenden Einsatz in akuten Krisenlagen, etwa bei der Bewältigung der Flüchtlingswelle ab 2014 oder während der Unwetter und Hochwasser 2013 und 2016.

Auf Nummer Sicher

Was sollten wir für den Katastrophenfall zu Hause haben? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz empfiehlt, Vorräte für zehn Tage anzulegen. Wie viele Lebensmittel das pro Person sind, lesen Sie nach unter www.bbk.bund.de nach.

Testen Sie Ihr Wissen im Quiz!

Getränke

20 Liter

Sie sollten für den Katastrophenfall immer 20 Liter pro Person zuhause haben.

25 Liter

20 Liter pro Person sind der Richtwert.

30 Liter

20 Liter pro Person sind der Richtwert.

Kohlenhydrate wie Brot, Reis, Nudeln, Kartoffeln und Getreide

1,5 kg

3,5 kg pro Person sind eine gute Menge.

3,5 kg

Sie sollten pro Person ca. 3,5 kg kohlenhydratreiche Lebensmittel zuhause haben.

5,5 kg

3,5 kg pro Person sind ausreichend.

Gemüse und Hülsenfrüchte

8 kg

4 kg pro Person sind ausreichend.

6 kg

4 kg pro Person sind ausreichend.

4 kg

4 kg pro Person sind eine gute Menge.

Obst und Nüsse

2,5 kg

2,5 kg pro Person sind ein guter Richtwert.

1,5 kg

2,5 kg pro Person sind ein guter Richtwert.

0,5-1 kg

2,5 kg pro Person sind ein guter Richtwert.

(Tierische) Proteine wie Fisch, Fleisch, Eier und Milchprodukte

Insgesamt ca. 5 kg

2,6 kg Milchprodukte und 1,5 kg Fisch, Fleisch oder Eier sind ein guter Richtwert.

Insgesamt ca. 4 kg

2,6 kg Milchprodukte und 1,5 kg Fisch, Fleisch oder Eier sind ein guter Richtwert.

Insgesamt ca. 3 kg

2,6 kg Milchprodukte und 1,5 kg Fisch, Fleisch oder Eier sind ein guter Richtwert.

Außer Lebensmitteln sollten Sie auch verschiedene Notlösungen für Energieausfälle und medizinische Notfälle vor Ort haben.

Das sollte vorrätig sein:

Rundfunkgerät mit Batterien oder Kurbelradio, Mappe mit wichtigen Dokumenten

Das sollten Sie im Notfall griffbereit haben.

Notlösungen für Energieausfall, etwa Campingkocher, Feuerzeug, Kerzen, Teelichter, Reservebatterien

Das sollten Sie im Notfall griffbereit haben.

Hausapotheke, Hygieneartikel, Notgepäck

Das sollten Sie im Notfall griffbereit haben.

Aus der Stiftung – Forschung

Ans Klima anpassen

Mit ihrem Projekt „Mikroklimaadaption in urbanen öffentlichen Räumen“ sucht die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart innovative Antworten auf klimatische Veränderungen. Gefördert von der Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen des Programms Anpassung an den Klimawandel arbeiten die Forscherinnen und Forscher an architektonisch-technologischen Strategien zur Kühlung städtischer Hitzeinseln. Besonders warme Orte können etwa mit veränderbaren textilen Strukturen überspannt werden, die als Schattenspender dienen.

Mehr Infos unter: www.bwstiftung.de/klimaanpassung