Interview
Talent fördern: Frauen in der Spitzenforschung

In Baden-Württemberg ist rund die Hälfte aller Studierenden weiblich. Doch nur wenige Professuren sind von Frauen besetzt. Was erschwert Frauen den Weg in die Spitzenforschung, warum geben viele auf? Und wie kann die Wissenschaft weiblicher werden? Uta Bronner ist Professorin an der Hochschule für Technik in Stuttgart – und begleitet als Coach Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrem Karriereweg.

Nataly Bleuel
Lesedauer: 4 Minuten

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Frau Bronner, wie sind Sie selbst in die Wissenschaft gekommen?

UTA BRONNER Ich hatte starke Vorbilder. Mein Vater war promovierter Ingenieur und meine älteren Brüder haben mich mit an die Uni genommen. Ich wusste schon zum Ende der Schulzeit: Das will ich auch! Wissen, Diskutieren und Analysieren haben mich fasziniert und dann bekam ich eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft angeboten. So beginnen, das zeigt schon eine alte Studie, fast alle klassischen Karrieren an der Uni: Eine Person fällt auf, weil sie engagiert ist, der Professor oder die Professorin bietet ihr eine Stelle an, dann kommen die Promotion und die nächsten Schritte.

Ihr Weg nach oben verlief glatt?

UB Ich hatte auch Krisen. Ich rutschte in ein Loch. Das war während meiner zweiten Diplomarbeit in Volkswirtschaftslehre, als ich mich fragte, wozu das alles gut ist. In der Psychologie hatte ich viele Studien irrelevant gefunden. Also konzentrierte ich mich auf die Frage des ökologischen Konsums – und war frustriert, als herauskam, dass die Menschen vor allem ihr Eigennutz interessiert. Ich hatte geglaubt, man könne die Welt ein Stück weit besser machen. Auch deshalb ging ich nach der Promotion zunächst einmal in die Praxis und dann an eine anwendungsorientierte Fachhochschule.

Erleben viele angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler solche Sinnkrisen?

UB Da gibt es verschiedene Krisen, etwa die Relevanzkrise, also die Frage: Interessiert das, was ich erforsche, überhaupt irgendjemand? Hinzu kommt, dass sie in dieser Phase beginnen müssen, sich im wissenschaftlichen Umfeld sichtbar zu machen. Vor allem Frauen! Und das Machtgerangel, das im kompetitiven akademischen Arbeitsumfeld zu beobachten ist, schreckt viele ab. Es kommt zu einem „Cooling-out-Effekt“: Frauen verlassen die Wissenschaft nach der Promotion, da sie auf den ständigen Wettbewerb und das Sich-in-Position-Bringen keine Lust haben.

Inwiefern haben es Frauen in der Wissenschaft schwerer als Männer?

UB Leider ist die deutsche Wissenschaftslandschaft traditionell immer noch sehr männlich geprägt, Frauen sind strukturell benachteiligt. Sie müssen 150 Prozent geben, um in der Wissenschaft Karriere zu machen. Sie müssen die bestehenden patriarchalen Netzwerke entern und eigene aufbauen. Karriere und Familienplanung zu vereinbaren, ist eine immense Herausforderung in der Wissenschaft. Befristete Arbeitsverträge sorgen für große Unsicherheit, vor allem, wenn man Kinder hat oder haben will. Das erfordert besonders hohen Einsatz und viel Flexibilität über Jahre hinweg.

Wie helfen Sie Frauen, damit sie in der Wissenschaft nach oben kommen?

UB Die Workshops für Promovierende drehen sich um die zentralen Fragen: Was will ich? Und was kann ich? Habe ich den Wunsch und den Willen zu einer Führungsposition? Als Coach biete ich Unterstützung beim Aufspüren einer Perspektive, die in die Praxis und in eine eigene Zukunft führt. Es fällt auf, dass zwar viele Frauen sagen, ich will an der Uni bleiben, aber lieber als akademischer Rat oder so – wohingegen Männer eher nach einer Professur streben.

Dieses klassische Rollenverhalten gibt es bei den Jüngeren noch immer?

UB Ja, ich versuche, dieses Rollenverhalten aber bewusst zu machen und dadurch hoffentlich zu ändern. Denn wenn die Anzahl von Frauen in höheren Positionen weiter so langsam steigt wie bisher, wäre etwa bei W3-Professuren erst in 50 Jahren eine Geschlechterparität erreicht. Derzeit erlebe ich nach wie vor mehr Frauen mit Selbstzweifeln als Männer. Das kann an tradierten Rollenmustern liegen, im Zusammenspiel mit einem System, das generell Verunsicherung fördert. Ein Beispiel dafür sind bibliometrische Methoden für Veröffentlichungen: Publikationen und ihre Autorinnen und Autoren werden quantitativ bewertet, erhalten Punktzahlen – wobei die Kriterien oft umstritten sind. Das verursacht Stress und Druck. Also ermutige ich die Menschen in meinen Workshops für Promovierende, suche ihre Stärken, bespreche mit ihnen: Wie gehen die Spielregeln? Worauf muss ich bei Publikationen achten? Welche Ämter und Gremien soll ich angehen? Ich bestärke sie, mit den richtigen Netzwerken zu arbeiten, mit Vorgesetzten ins Gespräch zu gehen und Karriere-wünsche und -wege mit Nachdruck anzusprechen.

Gibt es falsches Networking?

UB Studien zeigen, dass Frauen eher auf der gleichen oder statusniedrigeren Ebene netzwerken und Männer eher auf hierarchiehöhere Positionen abzielen. Frauen sehen wir eher bei der Sekretärin stehen, die Männer umzingeln auf Konferenzen den Professor.

Weil es leichter fällt, mit dem gleichen Geschlecht in Kontakt zu treten?

UB Vermutlich, ja. Professorinnen berichten, dass es ihnen viel gebracht hat, sich in Frauenfördernetzwerken auszutauschen und sich in konkreten Situationen gegenseitig den Rücken zu stärken. Gut vernetzte, einflussreiche und zuverlässige Mentorinnen und Mentoren sind unglaublich wichtig. Die kommen aber selten von selbst auf einen zu und bieten eine Stelle an. Wir trainieren, das proaktiv anzugehen.

Welchen konkreten Karrieretipp würden Sie geben?

UB In Workshops arbeite ich oft mit dem schönen Buch „Spiele mit der Macht“. Da gibt es beispielsweise den Rat, in einer Sitzung immer die Nummer 1 im Fokus zu haben: Sprich die Person mit dem höchsten Rang im Raum an, mach dich bemerkbar, bleib sichtbar! An den altehrwürdigen Universitäten funktioniert das häufig noch immer so.

Wie geht man mit Rückschlägen um?

UB Aufstehen und weitermachen. Dranbleiben. Sich mit anderen austauschen. Oder den Plan B angehen. Leider gibt es dafür keine Schmerztablette – und so hart es klingt: Man braucht Biss, hohe Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Zähigkeit in der Wissenschaft. Man muss für sein Fach brennen.

Dann brennt man aber auch leicht aus. Die ältere Generation in den Leitungspositionen beklagt häufig, dass die Jungen zu sehr auf ihre Work-Life-Balance bedacht sind und um 16 Uhr Feierabend machen wollen.

UB Da entstehen Irritationen, die vielleicht auf Dauer auch zu strukturellen Veränderungen führen. Aber derzeit muss man extrem viel leisten, um in der Wissenschaft belohnt zu werden. Wer hat die meisten und besten Publikationen? Wer erwirtschaftet Drittmittel? Wer steht für Exzellenz? Das muss man sich bewusst machen.

Was kann einem dabei helfen?

UB Beispielsweise arbeiten wir mit der Metapher eines Segelboots. Ich muss mein Ziel wissen, darauf Kurs halten und meine verschiedenen Segel füllen. Ein Segel steht für meine Stärken, eines für meine Netzwerke, eines für die Publikationen – und eines für meine Joker: Was habe ich, was sonst keiner hat, und wie kann ich das sichtbar machen, auch auf Social Media, etwa bei LinkedIn? Das ist kein frauenspezifisches Tool, aber Frauen achten eben in der Regel zu wenig auf Wind im Netzwerk- und im Sichtbarkeitssegel.

Ist Familienplanung ein Thema in Ihren Workshops?

UB Ein Riesenthema! Frauen haben in der Wissenschaft ohnehin höhere Hürden zu nehmen als Männer und fühlen sich trotzdem noch für die Kinder zuständig. Das Problem zeigt sich deutlich, wenn Partnerin und Partner beide in der Wissenschaft sind. Die Männer sind oft älter und weiter in der Karriere und dann steckt die Frau karrieretechnisch zurück, weil es beim Partner ja nur noch um den letzten Schritt zur Professur geht. Vielleicht gibt es mittlerweile ein wenig mehr Paare, die umgekehrte oder andere Modelle leben.

Was raten Sie Frauen beziehungsweise Paaren?

UB Es ist nicht immer planbar, aber geschickter, ein Kind am Anfang einer neuen Karrierephase zu bekommen, wenn der Vertrag beginnt und die nächsten Jahre finanziell sicherer sind. Am Anfang der Promotion, am Anfang der Postdoc-Phase – denn am Ende muss man viel arbeiten, sich neu bewerben und Risiken eingehen. Die Befristungen sind ein Riesenproblem! Bis man eine Habilitation hat, ist man fast 40 und lebt von einem befristeten Vertrag zum anderen. Dafür ist es wichtig, sich mit dem Partner, der Partnerin rechtzeitig über die Familienplanung zu unterhalten.

Wie haben Sie selbst Karriere- und Familienplanung miteinander vereinbart?

UB Ich habe Kinder bekommen, als ich in der freien Wirtschaft war. Mit einem unbefristeten Vertrag ist das leichter.

Müssten nicht nur die Individuen, sondern auch die Institutionen flexibler und offener werden, um tradierten Regeln und Rollen des Machtspiels zu widerstehen?

UB Um die Strukturen von Institutionen zu verändern, helfen auf jeden Fall Quotenregelungen und Frauenförderprogramme. Also mehr Frauen in der Spitzenforschung, die dann wieder andere fördern und stärken – damit die Forschung spitze bleibt. Denn der Druck hört ja mit der Professur nicht auf.
 

Uta Bronner

Uta Bronner (54) ist Professorin im Studiengang Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Technik in Stuttgart und darüber hinaus seit mehr als 20 Jahren als Trainerin und Coach in der Wissenschaft tätig. Vor ihrem Ruf an die Hochschule arbeitete die Psychologin und Volkswirtin zehn Jahre in der Robert Bosch GmbH, vor allem im Personalwesen, in der Führungskräfteentwicklung und der Organisationsentwicklung.

Aus der Stiftung – Forschung

Empowerment-Tag

In der Wissenschaft sind wir noch weit von einer Geschlechtergleichstellung entfernt. Um die Ungleichheit sichtbarer zu machen und Frauen aus der Wissenschaft zu motivieren, ihre Karriereplanung in die Hand zu nehmen, veranstaltet die Baden-Württemberg Stiftung zweimal jährlich den Empowerment-Tag. Die Veranstaltung richtet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen, Studentinnen, Doktorandinnen und Postdocs, die in Baden-Württemberg leben. Einen Tag lang können die Teilnehmerinnen in Workshops ihre persönlichen Kompetenzen stärken und sich untereinander vernetzen. Mehr Infos unter:  www.bwstiftung.de/empowerment