Die Elektrolysetechnologie ist umstritten, weil viel der ursprünglich eingespeisten Energie verloren geht, also der Wirkungsgrad gering ist.
Ja, tatsächlich bewegt sich der Wirkungsgrad konservativ betrachtet in einem Bereich um die 60 Prozent, ohne Nutzung der Abfallprodukte Wärme und Sauerstoff gehen also um die 40 Prozent der eingesetzten Energie verloren. Das ist aber auf jeden Fall besser, als die erneuerbare Energie ungenutzt zu lassen und somit ganz zu verlieren. Grundsätzlich muss man festhalten, dass Wasserstoff definitiv eine Schlüsselrolle bei der Energiewende einnehmen wird – er ist allerdings auch kein Allheilmittel. Wasserstoff hat extrem viele Einsatzmöglichkeiten, ist bedingt durch den Wirkungsgrad ohne Nutzung der Synergieeffekte aber verhältnismäßig teuer.
Wo kommt der Einsatz von H2 an seine Grenzen?
Wasserstoff konkurriert in vielen Bereichen mit Elektrifizierung. Strom kostet in der Regel weniger als Wasserstoff. Beim Pkw zum Beispiel ist der Einsatz von batterieelektrischen Fahrzeugen energieeffizienter und günstiger. Außerdem lässt sich der enorme Bedarf an grünem Wasserstoff nicht ausschließlich in Deutschland produzieren. Der Transport von Wasserstoff per Lkw oder Schiff verursacht hohe Kosten, weswegen zum Beispiel auch der Import ohne Pipeline langfristig teuer sein wird. Der Einsatz von Wasserstoff sollte mit Synergieeffekten an den richtigen Stellen erfolgen. Das ist es auch, was unser Projekt auszeichnet: Wir wollen die Abfallprodukte nutzen: Abwärme und Sauerstoff, die beim Elektrolyseprozess freigesetzt werden.
Wie ganz konkret?
Das zeigt sich an einem unserer Standorte in Wertheim und dem in Bad Mergentheim. Dort prüfen wir den Bau von Elektrolyseanlagen. Der Clou ist, dass das erwähnte Abfallprodukt Sauerstoff in den kommunalen Kläranlagen genutzt werden kann, die jeweils ganz in der Nähe liegen. Denn für die Reinigung des Abwassers braucht die Kläranlage Sauerstoff: Im sogenannten Belebungsbecken zersetzen Bakterien organische Verbindungen im Schmutzwasser. Normalerweise wird hierfür Umgebungsluft mit 21 Prozent Sauerstoffgehalt in die Becken gepumpt. Diese Gebläse sind oft Hauptverbraucher der elektrischen Energie in einer Kläranlage. Wenn wir aber statt der Umgebungsluft reinen Sauerstoff aus der nahe liegenden Elektrolyse verwenden, hat das den Vorteil, dass die Gebläse deutlich weniger arbeiten müssen und der Stromverbrauch drastisch sinkt. Letztlich macht die Lösung das Klärwerk also energieeffizienter, es wird weniger Energie benötigt.
Wo sehen Sie noch Potenzial für die Region?
In Wertheim ist eine Wasserstofftankstelle geplant, die künftige Brennstoffzellen-Lkw versorgen könnte, was den Schwerlastverkehr umweltfreundlicher machen würde und die Belastung durch Abgase reduziert. Die Abwärme aus der Elektrolyseanlage speisen wir zudem in einen Langzeitwärmespeicher. Diesen entladen wir dann im Winter und beheizen über ein Fernwärmenetz das umliegende Quartier. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten hierdurch das Angebot klimaneutraler Fernwärme.
Wenn sich alles wie geplant umsetzen ließe, wie würde Ihr Wunschszenario für den Einsatz von Wasserstoff aussehen?
Falls wir unseren prognostizierten Wasserstoffbedarf zur Hälfte in Deutschland selbst erzeugen, könnten wir im Jahr 2045 mit der beschriebenen Abwärme 20 Prozent des Wärmebedarfs aller Gebäude decken – in ganz Deutschland. Unabhängig von diesem Zukunftsszenario dürfte ein regionaler Wasserstoffmarkt geschaffen werden, wodurch neue Arbeitsplätze und Unternehmen entstehen, die wiederum Gewerbesteuer bezahlen. Tatsächlich kann man wie der Oberbürgermeister von Wertheim, Markus Herrera Torrez, von einer Jahrhundertchance für die Region sprechen: Perspektivisch werden wir deutlich unabhängiger von autokratischen Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien sein, wenn wir unsere Energie mehr regional selbst produzieren. Dafür ist aber natürlich zentral, dass wir die erneuerbaren Energien noch weiter ausbauen und weiter in Wind- und Photovoltaikanlagen investieren.
Da hört man eine gewisse Leidenschaft heraus. Was treibt Sie persönlich bei der Arbeit an?
Die Wasserstoffwirtschaft steckt zurzeit noch in den Kinderschuhen, das Rennen geht national und international jetzt erst richtig los. Wenn wir hier in Deutschland und insbesondere in der Region zu den First Movern zählen, werden wir viele Vorteile haben. Das ist natürlich spannend. Persönlich ist meine Hauptmotivation der Klimaschutz. Die Herausforderung ist groß, aber ich bin davon überzeugt, dass wir sie mit einer positiven Grundhaltung meistern können. Technisch ist alles machbar, aber der Zeitdruck ist hoch. Wir brauchen jetzt Überzeugung und Entschlossenheit, um den Weg in eine klimaneutrale Zukunft auch wirklich zu gehen.