Reportage
Klimaretter Moor

Moore speichern Wasser, binden CO2 und wirken stabilisierend auf das Klima. Aber: Sie sind bedroht. Auch das einzigartige Hochmoorgebiet auf dem Kaltenbronn im Schwarzwald – eines der letzten seiner Art in Deutschland.

Isabel Stettin
Lesedauer: 3,5 Minuten

Wasserort Kaltenbronn
S

Seit Jahrhunderten ranken sich Mythen um das Moor. Es dient als Kulisse von
Schauermärchen, als verwunschener Ort, bedrohlich und tödlich für jene, die sich darin verirren. Renate Fischer, stellvertretende Leiterin des Infozentrums Kaltenbronn, kennt die Legenden: „Gibt es hier Moorleichen? Diese Frage kommt bei Führungen einfach immer.“ Doch komplett versinken können menschliche Körper nicht, denn der Moorschlamm mit seiner höheren Dichte drückt sie immer wieder nach oben. Die Geografin und Naturpädagogin Fischer kennt jedes Pflänzchen, das am Kaltenbronner Hochmoor wächst. Über hölzerne Blockbohlenstege wandert sie zu jeder Jahreszeit durch die Idylle. Für die Expertin ist das Moor alles andere als bedrohlich – es ist vielmehr selbst bedroht: „Zu lange hat der Mensch aus den Augen verloren, was für eine wichtige Rolle Moore spielen. Als Ökosystem, für den Wasserhaushalt, als Kohlenstoffspeicher und als Lebensraum für hochspezialisierte Tiere und Pflanzen.“
 

Das Hochmoor Kaltenbronn liegt in den Landkreisen Rastatt und Calw inmitten eines riesigen Waldgebietes auf über 900 Meter Höhe. Knapp 400 Hektar sind als Naturschutzgebiet ausgewiesen, aufgeteilt in zwei Bereiche: Wildseemoor und Hohlohsee. Jährlich kommen rund 300.000 Besucherinnen und Besucher, um die urwüchsige Landschaft mit dem Großen und Kleinen Hohlohsee, dem Wild- und dem Hornsee zu erleben. Entstanden ist das Moor nach der letzten Eiszeit, vor 11.000 Jahren. Nach dem Abtauen des Eispanzers sammelte sich Schmelz- und Regenwasser in den Mulden der Hochfläche. Wasserundurchlässige Tonschichten hinderten es am Versickern. Auf den Flächen entwickelten sich Torfmoose, Wollgräser und später Torf.

 

Bis zu acht Meter tief sind die Torfschichten der beiden Hochmoore heute, sie haben sich aus abgestorbenen Pflanzenresten gebildet. Der Torf und der Schlamm sind so komprimiert, dass darin alles luftdicht abgeschlossen wird. Das macht aus Mooren wie dem Kaltenbronn jahrtausendealte Speicher. Rund 30 Prozent des erdgebundenen Kohlenstoffs lagern sie ein: mehr als doppelt so viel wie alle Wälder und Regenwälder der Erde und mehr, als jedes andere Ökosystem zu leisten vermag. Und das, obwohl nur drei Prozent der Erdoberfläche mit Mooren bedeckt sind. Moore können aber nur dann gigantische Mengen CO2 speichern, wenn sie intakt sind: nass und naturnah.

Das Schopflocher Torfmoor auf der Schwäbischen Alb. Copyright: Berthold Steinhilber/laif

Das Schwinden der Moore


Auf etwa vier bis fünf Prozent der Fläche Deutschlands sind Moore beheimatet. Doch lediglich zwei Prozent davon sind noch in natürlichem Zustand. Um Weideland, Bau- und Ackerflächen zu gewinnen, wurden in den vergangenen beiden Jahrhunderten 95 Prozent der deutschen Moore entwässert und trockengelegt. Zwei Drittel der ehemaligen Moore werden heute landwirtschaftlich genutzt. Seit Jahrhunderten wird Torf zudem abgebaut, er landet als Energieträger in Kraftwerken oder als Erde in Blumentöpfen. Auch am Kaltenbronn ist ein Großteil der Moorfläche verschwunden. Um das Moor für Waldbau zu nutzen, waren im 18. Jahrhundert Entwässerungsgräben angelegt worden – auf einer Länge von mehr als 250 Kilometern. Das Experiment scheiterte, doch die Gräben blieben und entwässern das Moor bis heute. Ohne Nässe kann sich neuer Torf nur mehr schwer bilden. Und auch der Klimawandel macht dem Kaltenbronner Hochmoor zu schaffen.


Manchmal führt Renate Fischer Besuchergruppen mit einem Stethoskop zu einer der Moorbirken, die am Kaltenbronn die Pfade säumen. Hält sie das Abhörgerät an den weißen Stamm, kann man besonders im Frühling dem Rauschen des Wassers lauschen. Bis zu 500 Liter am Tag saugen die Bäume durch ihre Wurzeln nach oben. Wasser ist auch das Lebenselixier des Moors. „Hohe Niederschlagsraten, niedrige Temperaturen und ein saurer, nährstoffarmer Boden – das sind die optimalen Voraussetzungen für Hochmoore“, erklärt Fischer. Denn die Moospflanzen, die den Boden bedecken, mögen es nass und kühl. „Das Torfmoos speichert immense Wassermengen“, sagt die Expertin. „Somit können Moore auch bei Hochwasser für Schutz sorgen.“ Die Moose nehmen das 30-Fache ihres eigenen Gewichts an Wasser auf. Würde ein Mensch, der 50 Kilo wiegt, so viel Wasser in seinem Körper speichern, würde er eineinhalb Tonnen Gewicht auf die Waage bringen.

Besonders ihre jungen Besuchergruppen lässt die Naturpädagogin Fischer alles selbst erleben: Schulklassen zeigt sie mit tintengefärbtem Wasser, wie schnell das Moos das Wasser aufsaugt und dunkel wird. Mit einer Spritze lässt sie die Schülerinnen und Schüler das Wasser aus dem Moos drücken. Da es in diesem Jahr neben Hitze auch viel Regen gab, funktioniert das zurzeit gut. Doch die zuletzt heißen Sommer haben auch am Kaltenbronn Spuren hinterlassen. Der Südwesten Baden-Württembergs zeichnet sich laut Daten des Deutschen Wetterdiensts in den vergangenen Jahren durch Hitzerekorde und Dürren aus. In niederschlagsarmen Sommern sind die Moospflanzen trocken und ausgebleicht, sie zerbröseln bei Berührung. Wird es immer heißer und trockener, sind die Moore in Deutschland und Europa in Gefahr – mit dramatischen Folgen für das Klima.

Die Moore Baden-Württembergs – hier das Wurzacher Ried im Landkreis Ravensburg –
bedecken nur etwa 1,3 Prozent der Landesfläche. Ihr Beitrag zum Klimaschutz aber ist immens. Copyright: Günther Bayerl

Wiedervernässung als Lösung


Ausgetrocknete Moore sind Kohlenstoffschleudern. Sie setzen den gebundenen Kohlenstoff in kurzer Zeit frei, deutschlandweit rund 53 Millionen Tonnen jährlich – was etwa fünfmal mehr ist als alle deutschen Inlandsflüge zusammen, hat das Magazin Katapult ausgerechnet. Etwa 7,5 Prozent der gesamten jährlichen CO2-Emissionen Deutschlands stammen aus entwässerten Moorböden. Innerhalb der Europäischen Union ist die Bundesrepublik zusammen mit Finnland und Polen für die meisten Treibhausgase aus Mooren verantwortlich. Weltweit werden jährlich etwa zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoff aus Mooren freigesetzt, vor allem in Südostasien.
 

Für Fachleute gilt der Schutz der Moore daher als einer der Schlüssel, um dem Klimawandel zu begegnen. In Deutschland und Europa gibt es inzwischen Programme, um Moore wiederzuvernässen. Auch die Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg entwickelt aktuell entsprechende Projekte. In den kommenden Jahren werden mehrere Millionen Euro investiert, um das Moor am Kaltenbronn zu retten – gefördert durch das LIFE-Programm der Europäischen Union. Dazu sollen in den alten Entwässerungsgräben Wassersperren gesetzt werden: mehrere tausend im gesamten Moorgebiet. Ziel der Vernässung ist die Entwicklung und Erhaltung des Hohlohmoors als Wasser-, Torf- und Kohlenstoffspeicher.


Seit zehn Jahren führt Renate Fischer Gruppen auf dem Kaltenbronn durch das geschützte Gebiet: „Inzwischen kommt mir keiner mehr durchs Moor, ohne zu verstehen, welche Rolle die Moore mit Blick auf den Klimawandel spielen.“ Immer mehr Menschen, vor allem die jungen, treibt das Thema um. „Sie kommen hierher und wollen etwas verändern“, das macht Fischer Hoffnung. Jede und jeder kann etwas tun, um Moore zu schützen: keine torfhaltige Blumenerde mehr verwenden zum Beispiel. Es gibt günstige und gute Alternativen für den Garten – etwa Baumrinde. Wenn sie das Bewusstsein für das Moor schärfen und die Faszination dafür wecken kann, hat Fischer ihre Aufgabe erfüllt. Einen Leitsatz gibt sie allen mit auf den Weg, die sie durch das Moor begleitet: „Hinterlasse nichts als deine Fußspuren, nimm nichts mit als deine Eindrücke.“

Der Kaltenbronn im Nordschwarzwald beherbergt eines der letzten intakten Hochmoorgebiete Mitteleuropas. Umgeben von Bannwäldern liegen der Kleine und der Große Hohlohsee malerisch in der Landschaft. Copyright: Alexander Kijak
Der sagenumwobene Wildsee. Copyright: Alexander Kijak