Wenn der Krieg plötzlich nahe kommt

Hunderttausende ukrainische Geflüchtete fanden im Frühjahr 2022, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, Zuflucht im Nachbarland Moldau: Im Verhältnis zu ihrer Größe und Bevölkerungszahl von nur etwa 2,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nahm die Republik Moldau die meisten Geflüchteten in Europa auf. Ein Kraftakt für den kleinen Binnenstaat, der zu den ärmsten Ländern Europas gehört.

Jo Berlien

Hunderttausende ukrainische Geflüchtete fanden im Frühjahr 2022, nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, Zuflucht im Nachbarland Moldau: Im Verhältnis zu ihrer Größe und Bevölkerungszahl von nur etwa 2,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nahm die Republik Moldau die meisten Geflüchteten in Europa auf. Ein Kraftakt für den kleinen Binnenstaat, der zu den ärmsten Ländern Europas gehört.

Lăpușna liegt ganz im Osten von Moldau, nah an der Grenze zu Rumänien. Die ukrainische Hauptstadt Kiew in Richtung Norden ist 500 Kilometer entfernt, Odessa 200 Kilometer. Aber die Republik Moldau ist ein kleines Land, nur 100 Kilometer sind es bis zur ukrainischen Grenze südöstlich. In den ersten Wochen nach dem Überfall Putins auf die Ukraine flüchteten nach UN-Angaben rund 1,25 Millionen Menschen, etwa 200.000 davon hat die Republik Moldau aufgenommen. Einige sind zurückgekehrt, die Mehrheit muss eingegliedert werden. Sprachbarrieren gibt es. In Moldau ist Rumänisch die Amtssprache, man verständigt sich aber mit den Geflüchteten zumeist auf Russisch. Zweieinhalb Jahre nach Kriegsbeginn spürt Lăpușna, 5.600 Einwohner, die Folgen des Krieges auch indirekt.

Moldau kämpfte zeitweise mit einer Inflationsrate von 30 Prozent und explodierenden Energiepreisen. Sozialeinrichtungen wie das 2010 gegründete CONCORDIA- Zentrum in Lăpușna sind Fluchtpunkte für die Ärmsten und Schwächsten, zumeist Frauen und Kinder. Seit Ende 2022 der Zuzug aus der Ukraine abgeebbt ist, sind ausschließlich Einheimische unter den Bedürftigen.

Um die Situation in der Republik Moldau zu entspannen und dem Land beim Auf rechthalten seiner Hilfsstrukturen zu helfen, unterstützt die Baden-Württemberg Stiftung seit 2023 die Förderung von Hilfsmaß nahmen in der Republik Moldau. In Lăpușna förderte sie die Arbeit eines Zentrums der CONCORDIA Sozialprojekte Stiftung.

„Als international tätige, unabhängige Hilfsorganisation helfen wir an über 50 Projektstandorten in Moldau“, sagt Galina Markschläger, Managing Director der CONCORDIA Sozialprojekte Stiftung mit Sitz in Stuttgart. „In Moldau leben 37 Prozent aller Haushalte mit drei oder mehr Kindern in absoluter Armut. Die Unterstützung von Familien mit Bildungsangeboten, Hilfsgütern und einer umfassenden Sozialberatung ist essenziell, um weiteren Armutsspiralen und Inobhutnahme von Kindern entgegenzuwirken.“

Das Zentrum in Lăpușna hat eine Tagesbetreuung für gefährdete Kinder ein gerichtet. Bis zu 25 Kinder können von Tag zu Tag aufs Neue mit Essen versorgt, untersucht und unterrichtet werden, zusätzlich zu jenen, die im Zentrum registriert sind. Bei einigen Kindern genügt eine Hausaufgabenbetreuung; Kranke erhalten ambulante oder auch stationäre Pflege. Überforderte junge Mütter werden bei der Erziehung und Bildung unterstützt.

14 Angestellte und ein Dutzend ehrenamtliche Jugendliche, die die Kinderbetreuung übernehmen, stemmen diese Arbeit. Es ist das Minimum an benötigtem Personal – es gibt nur einen Sozialarbeiter, einen Pädagogen, einen Psychologen, eine Krankenschwester und einen Pfleger. Köche braucht es hingegen fünf, um die 160 Bedürftigen – die Hälfte davon Kinder und Jugendliche – zu versorgen.

Die Fluktuation unter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sagt Projektleiter Vadim Tarna, sei im vorigen Jahr hoch gewesen: „Wir sind sehr froh, dass wir schnell wieder alle Stellen besetzen konnten.“ Die finanzielle Unterstützung der Baden-Württemberg Stiftung habe geholfen, die Arbeit aufrecht zu erhalten.

Weil es offiziell selten Anlass gibt, zu feiern, freuen sich Tarna und sein Team über die kleinen Dinge: „Besonders schön ist es, wenn sich die Generationen zusammenfinden, wenn Alte, Kinder, Jugendliche einander helfen, Feste organisieren“ und „Großartige Arbeit haben unsere Freiwilligen geleistet. Wir haben ein Gewächshaus eingerichtet und dort reiche Ernte eingefahren.“ Im Alltag indes dominiert die wirtschaftliche Not. Die steigenden Preise senken den Lebensstandard weiter ab. Auch in der Republik Moldau protestieren die Landwirte. Sie fordern einen Einfuhrstopp von billigem ukrainischem Weizen. Der dortige Krieg mag relativ weit weg sein, er ist dennoch allgegenwärtig. Im CONCORDIA-Zentrum, sagt Projektleiter Tarna, vermeide man das Thema so gut es geht. Man rede nicht über die Bedrohung einer russischen Okkupation. „Die Lage in Moldau ist ruhig“, sagt er, „aber es herrscht eine allgemeine Angst vor einer möglichen Eskalation des Konflikts.“ Vadim Tarna schaut unverdrossen zuversichtlich auf weitere Projekte. Wichtig sei ein funktionierender Spielplatz. Im Moment ist für eine Instandsetzung kein Geld da. Aber im nächsten Jahr soll es damit klappen. •

Perspektive Donau: Bildung, Kultur und Zivilgesellschaft

Das Programm der Baden-Württemberg Stiftung baut Brücken der Toleranz und überwindet Grenzen. Dafür werden Projekte aus verschiedenen Ländern im Donauraum in den Bereichen Bildung, Kultur und Zivilgesellschaft unterstützt. Das soll den Austausch von Wissen unterstützen und zum interkulturellen Austausch beitragen. Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagierte die BW Stiftung mit der Ukraine-Nothilfe und stellte damit zügige und flexible Mittel bereit, um Projekte mit Bezug zur Ukraine in den Nachbarländern zu unterstützen. 2023 hat sie die Förderung von Hilfsmaßnahmen, die in der Republik Moldau durchgeführt werden, in die Nothilfe-Ausschreibung aufgenommen.

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