Diese Grundqualifizierung ist praxisorientiert mit Rollenspielen und Gruppenarbeiten, die den Austausch fördern. Es gibt Interventionsmodule, in denen ein Problem gemeinsam zu lösen ist. Zuvor hatte etwa ein Drittel der Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter keine Einarbeitung und keine psychologische oder pädagogische Ausbildung, weiß Himmel: „Das Fortbildungsprogramm ist für Baden-Württemberg deshalb ein großer Gewinn.“ Das haben in den Fragebogen über 98 Prozent der Teilnehmenden bestätigt. Insgesamt gibt es allerdings eine hohe Fluktuation bei den Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern, und etwa 30 Prozent sind Quereinsteiger, die beispielsweise aus den Bereichen Floristik, Konditorei oder aus kaufmännischen Berufen kommen. „Aber viele haben ein hohes Engagement und Empathie“, hat Himmel beobachtet. „Wichtig ist vor allem: Was brauchen die Schuler unabhängig von ihrer Beeinträchtigung?“
Ulrich Hartmann gehört zu den Multiplikatoren der Schulbegleiter-Fortbildung und kann zudem auf seine langjährigen Erfahrungen sowie seine pädagogische Ausbildung bauen. „Ich habe viele Dutzend Schüler begleitet und zu fast allen noch guten Kontakt“, erzählt er. „Die Fälle nehmen mich dabei nicht so mit wie die politische Situation.“ Er habe schon sehr viele verzweifelte Eltern erlebt, die sich von Ämtern im Stich gelassen gefühlt haben. Das habe Familien zerstört. Nach einer ärztlichen Diagnose müssen Eltern beim Jugendamt – oder bei körperlichen Beeinträchtigungen beim Sozialamt – einen Antrag auf Schulbegleitung stellen. „Schulbegleitung ist teuer und der Bedarf ist groß“, weiß Hartmann. Oft müsse deshalb um die Unterstützung gekämpft werden oder sie werde nicht bewilligt. Der Satz, den die Jugendämter für die Schulbegleitung zahlen, habe sich seit 14 Jahren nicht verändert. Viele Eltern müssten deshalb noch dazuzahlen.
„Ulrich war der erste, dem ich wirklich vertraut habe“
Tobias gehört zu Hartmanns Erfolgsgeschichten, aber auch mit ihm hat er sehr herausfordernde Zeiten durchlebt. Er erinnert sich vor allem an eine Klassenfahrt nach England, auf der er ihn begleitet hat. „Da ging’s Tobias dreckig, da hatte er eine hochsuizidale Phase – und wir sind auf Burgen und Türme gestiegen und waren auf der Fahre“, erzählt Hartmann. Auf dieser Reise war er deshalb ständig in Unruhe. „Das war die schwärzeste Phase in meinem Leben“, bestätigt Tobias. Er habe sich dabei von einem Freundeskreis leiten lassen, von dem er sich jedoch lossagen konnte. Über neue Freunde, Erfolge und Lob in der Schule fand er wieder Lebensmut.
„Ulrich war der erste, dem ich wirklich vertraut habe. Mit ihm habe ich gelernt, wie ich mit mir selbst umzugehen habe“, sagt Tobias. Das galt vor allem für Konfliktsituationen mit Lehrkräften oder Mitschülern, nach denen für ihn mehrfach „der Schultag gegessen“ war: „Ich habe gelernt, wie ich aus diesen Situationen herauskomme.“Empathie ist für Tobias nicht nur ein Fremdwort, sondern auch ein unbekanntes Gefühl. Er kann sich selbst nicht in andere Menschen hineinversetzen, hat aber gelernt, wie er mit deren Emotionen besser umgehen kann. „Uli hat als Erster verstanden, was ich wirklich brauche, und konnte sich in mich reinversetzen. Er ist eher mal einen Schritt zurückgegangen und hat deeskaliert“, erinnert sich Tobias.
Autismus wird oft begleitet von ADHS oder Angststörungen. Wenn die damit verbundenen körperlichen Symptome wie Zittern, Schweißausbrüche oder gesteigerter Bewegungsdrang auftreten, müsse man als Begleiter erst mal vor allem ruhig bleiben, erklärt Hartmann. Über 70 Prozent der begleiteten Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg erhalten Unterstützung durch Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter wegen psychischer Beeinträchtigungen, von denen Autismus mit etwa 60 Prozent den größten Anteil ausmacht. Ein gestörtes Sozialverhalten hatten zu Beginn der Erhebung knapp 20 Prozent, der Anteil von ADHS ist innerhalb der vergangenen zehn Jahre von 20 auf rund 40 Prozent gestiegen. Wegen körperlicher und geistiger Behinderungen werden deutlich weniger Mädchen und Jungen in der Schule begleitet.
Als das Jugendamt Hartmanns Hilfe für Tobias in der 10. Klasse nicht mehr bewilligte, war das für ihn zunächst ein Schlag ins Gesicht. Er bekam jedoch eine Schulbegleiterin aus dem Pool eines Dienstleisters, wurde auch am Berufskolleg für Informatik noch sporadisch unterstützt, versuchte aber immer häufiger, allein klarzukommen. Das funktionierte immer besser. „Man ist immer in einer Sondersituation, hat einen Stempel, dass etwas nicht stimmt“, sagt Tobias. Diesen Stempel wollte er ablegen.
Seinen Abschluss zur Fachhochschulreife hat er allein geschafft, die Bewerbungen danach selbst geschrieben und auch die Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration ohne externe Hilfe gestemmt. Jetzt kann er sich vorstellen, als Ausbilder im IT-Bereich tätig zu sein – „aber das ist ein Zukunftsgespinst.“ •