Yad be Yad

Aufklären statt aufgeben

Das Projekt „Yad be Yad“ weiß: Gegen Radikalisierung und menschenfeindliche Narrative helfen vor allem Bildung und Dialog. In Schulworkshops suchen deshalb jüdisch-muslimische Tandems den Austausch mit Jugendlichen – und klären gleichzeitig über Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Erinnerungskultur auf.

Autorin: Sabine Fischer

Ein kleines Klassenzimmer in Backnang: Die Tische stehen an die Wände gerückt, gegen die Fenster trommelt Regen. Rund 20 Jugendliche gehen im Raum umher. Einige tuscheln, wo genau sie stehen bleiben wollen. „Ich finde schon, dass das rassistisch ist“, sagt eine von ihnen und zieht ihre Freundin am Ärmel in die linke Ecke des Zimmers. Von der Mitte des Raums aus beobachten Elishevah Breuning und Furkan Yüksel die Gruppe. Für das Gewusel im Klassenzimmer sind sie verantwortlich. Gerade haben sie den Schülerinnen und Schülern eine fiktive Situation geschildert: Im Unterricht fordere ein Lehrer seine jüdische Schülerin dazu auf, ein Referat über Israel zu halten. Ist diese Geste rassistisch oder nicht? Je nach Einschätzung sollen die Jugendlichen sich im Raum aufstellen: links für „ja“, rechts für „nein“. Die unschlüssigen Gesichter sind genau das, was die beiden erreichen möchten: „Wir wollen Impulse setzen, damit die Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein für verschiedene Formen von Rassismus und Antisemitismus entwickeln“, erklärt Yüksel. Elishevah Breuning und Furkan Yüksel sind zwei von insgesamt sechs Coaches, die im Rahmen des Projekts „Yad be Yad“ an Schulen in Baden-Württemberg unterwegs sind. Das Ziel der Workshops, die sie dort anbieten: offene Gespräche über Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus – Themen, die die meisten der Coaches schon lange beschäftigen.

Antirassismus ist anstrengend

Rassismus gegen muslimische Menschen ist für Furkan Yüksel eine Alltagserfahrung. Der 27-Jährige ist in einer ländlichen Region aufgewachsen und hat hier immer wieder zu spüren bekommen, was es heißt, Zielscheibe von Hass und Hetze zu sein. Mehrmals wurden Hassparolen an die Moscheewand seiner Gemeinde gesprayt, einmal fand er vor dem Gebäude einen aufgespießten Schweinekopf. Zu Bürgerdialogen und Moscheeführungen, die er organisierte, kamen immer wieder Neonazis, um die Veranstaltung zu stören. „Das war ein Klima, in dem man nicht mehr sicher sein konnte, was als Nächstes passiert. Ich hatte also nicht die Wahl, ob ich mich mit Rassismus beschäftigen möchte oder nicht. Der Rassismus war direkt vor meiner Haustür“, so Yüksel. In den vergangenen Jahren habe sich dieses Klima gesellschaftlich zugespitzt, sagt auch Elishevah Breuning. Der Rechtsruck und ein Gedankengut, das von massenhaften Deportationen fantasiere, sei ein gefährlicher Boden, auf dem Radikalisierung zunehmen und sich in der Gesellschaft ausbreiten könne. Für sie, die in der jüdischen Gemeinde Stuttgart aktiv ist, führt das oft zu Ratlosigkeit und Frust. „Mir fällt es manchmal schwer, mich ständig selbst zu hinterfragen und aufzupassen, dass ich mich nicht selbst mal von einem einseitigen Narrativ mitreißen lasse. Besonders deutlich wird mir das zum Beispiel bei Debatten rund um den Nahostkonflikt. Wird eine Seite unterstützt, wird die andere oftmals komplett delegitimiert und man bekommt ein Schwarz-Weiß-Bild. Jeder Bericht und jede Information muss ständig hinterfragt werden. Man kann sich keine Pause gönnen und das ist sehr anstrengend“, sagt sie.

Die politische Bildungsarbeit hilft den beiden dabei, andere durch ihre Erfahrungen zu sensibilisieren. Hier setzt auch das Projekt „Yad be Yad“ des Vereins Kubus e.V. an, das von Oktober 2021 bis März 2024 von der Baden-Württemberg Stiftung gefördert wurde. „Wir wollen den Diskurs über antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus öffnen und mit jungen Menschen ins Gespräch kommen: Uns interessiert, was sie für Erfahrungen gemacht haben. Wir wollen uns füreinander einsetzen, weil wir wissen, wie es ist, von Rassismus oder Antisemitismus betroffen zu sein“, erklärt Veronica Sartore, die das Projekt leitet. Dafür bilden sie und ihr Team Menschen mit muslimischem oder jüdischem Hintergrund sowie Menschen mit Fluchterfahrung zu sogenannten Teamerinnen und Teamern aus – Coaches, die am Ende Workshops in Schulen geben können. Besonders wichtig sei es dabei, die Schülerinnen und Schüler dort abzuholen, wo sie gerade stünden, so Sartore. Dafür bekommen die Teamerinnen und Teamer während ihrer Ausbildung unter anderem Methoden aus der Theaterpädagogik an die Hand: Schülerinnen und Schüler sollen sich beispielsweise im Kreis aufstellen und pantomimisch eine jüdische oder muslimische Person darstellen. „Wir wollen so herausfinden, welche stereotypen Bilder in den Köpfen sind, und danach darüber sprechen“, erklärt Sartore – und zwar offen und vor allem ohne Tabus.

Alle sind aufgerufen, ihr Denken und Handeln zu hinterfragen

Für diese Offenheit stehen auch die Tandems, die im Rahmen von „Yad be Yad“ an den Schulen unterwegs sind. Aktuell bestehen sie jeweils aus einer jüdischen und einer muslimischen Person – eine Konstellation, die sich als nicht ganz einfach erwiesen habe, sagt Sartore. „Die Schulen denken oft, dass es bei uns nur um das Verhältnis dieser Menschen zueinander geht. Aber wir haben eine andere Botschaft.“ Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus seien gesamtgesellschaftliche Phänomene, bei denen jede Person dazu aufgerufen sei, ihr eigenes Denken und Handeln zu hinterfragen.

Das sieht auch Furkan Yüksel so. Er und Elishevah Breuning, heute beide Studierende, haben im Herbst 2022 gemeinsam mit 20 anderen jungen Menschen aus Baden-Württemberg die „Yad-be-Yad“-Ausbildung absolviert: „Der transnationale Rechtsextremismus ist das, womit wir uns am meisten beschäftigen“, sagt er. Mit den Jugendlichen gehen die Teamerinnen und Teamer deshalb gezielt auf Narrative aus der politischen Rechten ein und klären über Vorurteile auf, die gegen jüdische und muslimische Menschen benutzt werden.

An der Eduard-Breuninger-Schule in Backnang funktioniert das immer besser: Zu Beginn des Workshops fordern Yüksel und Breuning alle Jugendlichen auf, Stichworte in den Raum zu werfen, die sie mit antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus verbinden. Die Schülerinnen und Schüler schauen nervös zu Boden. Nur zögerlich kommen erste Schlagworte wie „Hass“ oder „Leid“ auf. Die Annäherung scheint schwierig. Immer wieder ermutigen Yüksel und Breuning dazu, den Assoziationen freien Lauf zu lassen – auch wenn es sich um Stereotype handelt. Langsam taut die Gruppe auf: „Terrorismus“, sagt ein Junge in der vorderen Ecke. „Vertreibung“, eine Mitschülerin. Die anfängliche Skepsis im Raum verschwindet, während Yüksel und Breuning Einblicke in die beiden Communitys und spezifische Formen von Rassismus geben.

Elishevah Breuning, Veronica Sartore und Furkan Yüksel.

Immer mehr Hände gehen in die Höhe, Fragen werden gestellt: Was ist eigentlich die Schlussstrichdebatte? Was bedeutet Ethnoreligion? Und wie erleben Yüksel und Breuning Rassismus im Alltag? Über die Alltagssituationen, die die Klasse als „rassistisch oder nicht rassistisch“ einstufen soll, entbrennen lebhafte Diskussionen: Ist es denn rassistisch, wenn eine Kassiererin im Supermarkt einer Frau mit Kopftuch zu ihren guten Deutschkenntnissen gratuliert? Der Kontext sei entscheidend, finden viele Jugendliche. Allein von ihrem Aussehen darauf zu schließen, dass sie kein Deutsch verstehe, sei problematisch. So entlassen Yüksel und Breuning ihren Workshop schließlich mit einer ganzen Reihe neuer Denkanstöße in die Pause.

Als die Schülerinnen und Schüler das Zimmer verlassen haben, nicken die beiden sich zufrieden zu. „Wir merken immer wieder, dass wir positive Spuren bei den Jugendlichen hinterlassen. Neulich kamen nach einem Workshop zum Beispiel zwei auf uns zu und haben gefragt, ob sie beim anstehenden Iftar, dem gemeinsamen Fastenbrechen von jüdischen und muslimischen Menschen, mit dabei sein können. Das ist ein schönes Gefühl“, sagt Breuning.

Gerade junge Menschen seien hierfür besonders empfänglich, stimmt auch Veronica Sartore zu. „Ihr Weltbild ist einerseits noch offen, andererseits werden sie stark von Narrativen beeinflusst, die sie in den sozialen Medien wahrnehmen. Bei ihnen können wir gut ansetzen.“ Das Kontingent an Workshops, die im Rahmen des Projekts angesetzt waren, wurde bereits voll ausgeschöpft. Doch die Nachfrage steigt immer weiter – gerade vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts. „Das Interesse an Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus ist nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 deutlich größer geworden. Ironischerweise ist das für uns eine Chance, das Thema noch stärker anzusprechen“, sagt Breuning. 26 Workshops haben sie und Yüksel in diesem Jahr bereits an verschiedenen Schulen gegeben – und sind noch lange nicht müde, Rassismus in den Köpfen junger Menschen greifbar zu machen. •

Vielfalt gefällt!

Sowohl im Hebräischen als auch im Arabischen bedeutet „Yad be Yad“ so viel wie „Hand in Hand“. Damit verdeutlicht der Projektname das Ziel, das sich der Verein Kubus e. V. gesetzt hat: Begegnungen zwischen jungen Menschen zu schaffen – egal, ob sie jüdischen oder muslimischen Glaubens, geflüchtet oder einfach so am Thema interessiert sind. Die Coaches werden befähigt, über Themen wie Rassismus, Erinnerungskultur und Menschenfeindlichkeit aufzuklären und hierfür in Tandems Workshops an Schulen zu geben. 22 junge Menschen aus Baden-Württemberg wurden während des Projektzeitraums ausgebildet. Das Projekt wurde im Rahmen des Programms Vielfalt gefällt! Orte der Toleranz in Baden-Württemberg der Baden-Württemberg Stiftung gefördert.

 

Mehr zum Programm unter: bwstiftung.de/vielfalt

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