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Patrick Frei ist „Weltmeister der Maßschuhmacher“. Er reiste um die Welt, auch um das Handwerk von anderen zu lernen. Heute nimmt er selbst junge Kolleginnen und Kollegen in seiner Freiburger Werkstatt auf – und spannt mithilfe des Baden-Württemberg-STIPENDIUMs ein internationales Netzwerk.

Nataly Bleuel
Lesedauer: 3 Minuten

Herr Frei, wie wurden Sie nicht nur Schuhmacher, sondern sogar Schuhmacherweltmeister?

Patrick Frei Als junger Mann habe ich gegaukelt, also jongliert und Straßenshows gemacht, und bin dann nach Abitur und Zivildienst nach Südamerika gereist. Da suchte ich für meine Utensilien einen Koffer. In der bolivianischen Stadt Cochabamba kam ich in einen Laden, bis unter die Decke voll mit wunderschönen, handgemachten Lederkoffern, mittendrin ein alter Mann. Bei diesem Sattler blieb ich ein paar Monate und lernte, wie man aus guten Materialien etwas Schöpferisches zum Gebrauch herstellen kann.

Patrick Frei (* 1981) betreibt seine Werkstatt für Maßschuhe freischuhe.de auf dem Stühlinger Gewerbehof in Freiburg. 2018 wurde er in London Weltmeister im Maßschuhmachen. Seither beschäftigt er auch Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt im Rahmen des Baden-Württemberg-STIPENDIUMs für Berufstätige.

Warum wurden Sie dann nicht Sattler?

Um Leder zu kaufen, ging ich – zurück in meiner Heimat am Bodensee – zu einem Schuhmacher. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie ein Schuh entsteht. Man braucht an die 300 Arbeitsschritte, viel mehr als für einen Koffer, da sind es um die 50. Man macht einen Leisten aus Holz, man muss das Leder formen und die Fäden aus Hanf- und Flachsfasern zwirbeln, es wird mit Schweinsborsten genäht statt mit Nadeln. Und das macht, anders als bei schweren Lederkoffern, die kaum noch jemand nutzt, auch noch alles Sinn! Denn es gibt bis heute keine bessere Methode als diese sogenannten Pechfäden, die wie aus der Borste herauswachsen und immer dicker werden und so die vorgestanzten Löcher in Leder und Rahmen schließen.

 

Was macht diese Methode so besonders?

Das sind unübertroffene Techniken, keine Maschine kann das besser. Ich fand eine Lehrstelle in Freiburg. In Deutschland gibt es kaum noch Schuhmacherinnen und Schuhmacher. Man setzte nach dem Krieg auf die neue Technik des Klebens, während sich in England, Frankreich oder Österreich die Tradition des rahmengenähten Maßschuhs hielt.

In meinem Berliner Viertel gibt es drei Schuster!

Ja, Schuhmacher, die reparieren. Aber Schuhmacherinnen und Schuhmacher, die Maßschuhe anfertigen, gibt es kaum noch. Man machte schon im Mittelalter einen Unterschied zwischen „Altmeistern“ und „Neumeistern“. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung vom Reparieren. Der Profi-Reparateur hält ein Feuerzeug an den Schuh und erkennt sofort den Klebstoff. Meine Freunde waren immer enttäuscht, wenn sich meine Reparaturen nach drei Wochen wieder lösten.

Feinste Handarbeit aus Freiburg: die Maßschuhe von Patrick Frei.

Aber Ihre selbstgemachten Schuhe können Sie schon reparieren?

Das sind meine Kinder. Die kann nur ich reparieren.

 

Sieht es in Ihrer Werkstatt jetzt aus wie bei dem alten Mann in Cochabamba?

Es sieht schon ein bisschen aus wie in einem Museum. Nicht nur wegen der Materialien. Viele Maschinen und Werkzeuge sind um die hundert Jahre alt. Die habe ich teils geschenkt bekommen von Leuten, die sich beim Anblick meiner Werkstatt an die alten Gerätschaften ihres Opas auf dem Speicher erinnerten.

Und da hängen auch die Leisten Ihrer Stammkundinnen und Stammkunden?

Ja, viele kommen wieder. Einige aus einem Umkreis von zwei-, dreihundert Kilometern, viele aus dem Ausland. Damit ich einen Schuh machen kann, müssen sie mindestens zweimal nach Freiburg anreisen. Erst wird der Fuß vermessen und ein Modell besprochen. Dann mache ich einen Probeschuh und idealerweise gibt es einen dritten Termin, um das fertige Paar anzuprobieren und die Pflege zu besprechen.

Was kostet so ein Paar Schuhe?

Das fängt an bei 3.300 Euro. Man muss bedenken, da stecken 80 bis 120 Arbeitsstunden drin.

Mit dem Leistenmesser wird der Leisten grob in Form gebracht.
Sind Form und Maße zufriedenstellend, werden die Leisten mit Schmirgelpapier fein geschliffen.

Durch Ihre Reisen haben Sie viel gelernt. Jetzt nehmen Sie in Ihrer Werkstatt immer wieder selbst Stipendiatinnen und Stipendiaten aus anderen Ländern auf. Wie kam es dazu?

Eigentlich wollte ich auf die Walz gehen, drei Jahre und einen Tag lang. In dieser Zeit lernt man und darf sich seinem Heimatort nicht nähern. Weil ich früh geheiratet habe und Vater wurde, ging das aber nicht. So schaute ich nach Auslandsstipendien für Berufstätige im Handwerk. In England oder Frankreich gibt es das, bei uns in Deutschland fand ich damals nichts. Dann gewann ich 2018 mit einem schwarzen Oxford-Schuh in London den Weltmeistertitel im Schuhemachen. Dieser Schuh tourte um die Welt. Ähnlich wie früher bei einer Weltausstellung, wo auch das Neueste aus der Handwerkskunst gezeigt und sich untereinander vernetzt wurde. Schließlich kam mein Schuh nach Tokio. Da gibt es mittlerweile mehr Maßschuhmacherinnen und -schuhmacher als in ganz Europa zusammen, zudem Schuhmacherschulen und viel Kundschaft. Darüber lernte ich Kazuya Kimura kennen, einen japanischen Kollegen – er wurde mein erster Stipendiat! Er machte wunderbare Sachen und kam zu mir, um das deutsche Handwerk kennenzulernen. Alleine hätte ich diese drei Monate nicht finanzieren können, aber die Baden-Württemberg Stiftung hat uns mit ihrem Berufstätigen-Stipendium, einem Sprachkurs und einem monatlichen Handgeld von 1.000 Euro geholfen. Toll, dass es mittlerweile von der Baden-Württemberg Stiftung so ein Stipendium für Berufstätige gibt!

Was haben Sie von Ihrem japanischen Kollegen gelernt?

Ich habe von seiner Formensprache gelernt und von seinen Werkzeugen. Mit den japanischen Messern arbeitet man vom Körper weg, wir ziehen in Deutschland unsere zum Körper hin. Zum Ausdünnen von Ledern ist das die bessere Technik. 

Die Schnittmuster werden anhand des Grundmodells zugeschnitten.
Mit einer umgebauten Nähmaschine werden Zacken aus dem Leder gestanzt.

Inzwischen hat sich in Freiburg ein Netzwerk etabliert, das Handwerkerinnen und Handwerker aus unterschiedlichen Nationen zusammenbringt.

Nach Kazuya habe ich den Orthopädieschuhmacher und BWS-Stipendiaten Norihiko Tsukinowa an eine Sandalenwerkstatt hier in der Stadt vermittelt, wo er direkt eingestellt wurde. Jetzt freue ich mich auf Pierre-Baptiste L’Hospital. Er kommt aus Paris zu mir in die Provinz – er hat in der legendären Schuhmacher-Manufaktur Berluti gelernt und bei Massaro gearbeitet, das war der Maßschuhmacher von Chanel.

Frauen gibt es nicht in der Maßschuhmacherei?

Bei mir bewerben sich sogar mehr Frauen als Männer. Aber in der Haute Couture bleiben vorwiegend Männer übrig. Ich kenne eine Österreicherin in Venedig, eine Deutsche in Florenz und eine Japanerin in London. Warum das so ist? Keine Ahnung!

Brandsohle, Futterleder, Oberleder, Kappen und Rahmen werden mit einem Plattort durchstochen, bevor mit dem Pechdraht alle Schichten miteinander vernäht werden.
Glasstücke werden mit einer Feile angeritzt und über einer Kante gebrochen. Mit der gebogenen, scharfen Kante werden Leder und Holz abgeglast und fein geschabt.

Zieht es Sie denn, wenn Ihre Kinder groß genug sind, noch auf die Walz?

Dafür fühle ich mich mittlerweile zu gesetzt, aber ich finde es großartig, dass die Welt jetzt zu mir kommt und sich so mein Horizont erweitert. Und es interessiert mich, einen guten, unkaputtbaren Konfektionsschuh für die breite Masse zu entwickeln. Sozusagen einen Freischuh für alle.

Aus der Stiftung – Bildung

BADEN-WÜRTTEMBERG-STIPENDIUM: BERUFSTÄTIGENLINIE

Als Schuhmacherin nach Italien, als Tierpfleger nach Australien oder als Bierbrauerin auf die Schwäbische Alb? Mit der finanziellen Unterstützung des Baden-Württemberg-STIPENDIUMs für Berufstätige wird dies Wirklichkeit. Auf ans andere Ende der Welt! Mehr Infos unter:

BW-Stipendium