Bestatter haben keine Stammkundschaft. Kapitalismuskritikerinnen und -kritiker, die den Kapitalismus beerdigen wollen, hingegen schon. Doch der Kapitalismus ist komplexer als die Kritik an ihm.* Es existieren unzählige Variationen, die durch historische, religiöse und regionale Besonderheiten entstehen. Geopolitisch stehen sich das europäische sozialstaatliche Wohlfahrtsmodell, das chinesische Autokratie-Kapitalismus-Modell und das datenbasierte, staatsferne kalifornische Modell gegenüber. Zugleich ist der Kapitalismus ein gesellschaftliches Betriebssystem, das sich etwa auf die Gestaltung der Energiewende oder die Bezahlung von Pflegekräften auswirkt – im Zusammenspiel mit Justiz, Zivilgesellschaft, Kirche, Familie und Wirtschaft. Alle Varianten eint das Versprechen von Wachstum, Effizienz und allgemeiner Wohlfahrt. Wie frei die Märkte dabei handeln dürfen und wie diese Freiheit koordiniert werden soll, darüber diskutiert die Wissenschaft in Zeiten von Corona, Kriegen und Klimawandel extrem kontrovers. Die einen – wie etwa das Ludwig-Erhard-Forum – fordern einen Neoliberalismus, also dass der Staat möglichst wenig in die Wirtschaft hineinregieren soll. Für die anderen braucht es einen Neodirigismus, also mehr staatliche Eingriffe und wuchtige Krisenreaktionen. Und zwischen diesen Extremen gibt es viele weitere Perspektiven. Ein kurzer Blick auf die aktuelle Kritik und die Ideen von Forschenden aus aller Welt.
* Siehe auch den Beitrag des Autors in brand eins, September 2021