Wenn die Mehrheit der Menschen davon überzeugt ist, dass die hohe Inflation ein dauerhaftes Problem sein wird, passiert nämlich mitunter etwas anderes: Dann fangen Menschen an, das Geld, das sie verdienen, so schnell wie möglich auszugeben, bevor es an Wert verliert. Sie heizen so aber die Inflation nur weiter an. Dann sind die Regale schnell leer, die Lieferengpässe verschärfen sich – und die Preise steigen noch schneller. Ein Extrembeispiel: die Frauen in der Weimarer Republik, die morgens das Gehalt ihrer Männer am Fabriktor abholten, um es sofort auszugeben. Abends waren die Preise meistens schon weiter gestiegen.
Derzeit sieht es allerdings eher danach aus, als ob die Menschen in Deutschland sparen, weniger konsumieren, auf unnötige Anschaffungen verzichten. Mit anderen Worten: Sie dämpfen den Anstieg der Inflation dadurch ab, dass sie Verzicht üben. Manche haben auch gar keine andere Wahl.
Gewinner und Verlierer
Steigende Preise treffen nicht alle Menschen gleich. Um das zu verstehen, muss man sich nur ansehen, wie Inflation gemessen wird. Die Inflationsrate ist ein Durchschnittswert. Im Juli 2022 waren die Preise im Vergleich zum Juli 2021 durchschnittlich um 7,5 Prozent gestiegen. Praktisch läuft das so ab: Das Statistische Bundesamt erfasst jeden Monat Tausende Preise von 650 Waren für alles Mögliche: von Bestattungen und Zahnarztbesuchen über Pflanzenöl und Softdrinks wie unsere Cola bis hin zu Brot. Die Preise werden dann in einem Warenkorb zusammengerechnet und gewichtet. Dabei geht man davon aus, dass gewisse Dinge für die durchschnittliche Deutsche bzw. den durchschnittlichen Deutschen wichtiger sind als andere. Der Preis für Bestattungen zum Beispiel ist für die meisten Deutschen weniger wichtig als der für Brot. Brot wird deshalb im Warenkorb dreimal so stark gewichtet wie Bestattungen.
Das Problem: Viele Menschen leben ganz anders als der Durchschnittsbürger, den die Statistikerinnen und Statistiker sich ausmalen. Einige pendeln jeden Tag 200 Kilometer mit dem Auto und verbrauchen sehr viel Benzin. Andere leben vegan und fahren überall mit dem Fahrrad hin – weshalb ihnen Sprit- und Fleischpreise komplett egal sein können. Die Preissteigerungen der vergangenen Monate betrafen vor allem Strom, Gas und Treibstoffe, aber auch einige überraschende Dinge: Schulhefte und Zeichenblöcke sind zum Beispiel innerhalb eines Jahres um 13,6 Prozent teurer geworden, was verschiedene Gründe hat, aber unter anderem daran liegt, dass die Herstellung von Papier sehr energieintensiv ist. Lebensmittel sind ebenfalls deutlich teurer geworden – um volle 14 Prozent. Auch weil Russland und die Ukraine bedeutende Exporteure von Getreide und Futtermittel sind. Aber auch hier gibt es große Unterschiede: Der Preis für Geflügel stieg innerhalb eines Jahres um 32,3 Prozent, der von Mehl um 34 Prozent und der von Butter sogar um 47,9 Prozent. Der Anstieg der Preise für Getränke war dagegen fast moderat: 6,3 Prozent zwischen Juli 2021 und Juli 2022.
Im vergangenen Jahr gab es auch Dinge, die billiger wurden: Fernseher (minus ein Prozent), Handyverträge (minus drei Prozent) und Plätze im Altersheim (minus vier Prozent). Vegan lebende Fahrradfahrer haben von der Inflation also weniger mitbekommen als Familien mit zwei Autos, drei Kindern und einer Vorliebe für Brathähnchen.
Hingegen profitieren diejenigen von der Inflation, die hohe Schulden haben – insbesondere der Staat und eine ganze Reihe großer Unternehmen, die ihr Geschäft mit Krediten finanzierten. Denn wenn Geld allgemein an Wert verliert, verringern sich dadurch automatisch auch die Schulden. Das passierte auch in Zeiten der Hyperinflation von 1923. Alle, die auf Pump Sachwerte gekauft hatten – Firmen, Häuser, Ackerland –, profitierten, während große Teile der Mittelschicht ihre Ersparnisse verloren. In der aktuellen Situation profitieren auch viele Firmen, vor allem große Konzerne: Sie geben die höheren Preise für Energie und andere Rohstoffe an ihre Kundinnen und Kunden weiter. Die hohen Preise und Energiekosten belasten besonders Menschen mit kleinen Einkommen. Die leiden insbesondere unter den steigenden Kosten für Dinge, die sich nicht einfach einsparen lassen: Essen, Sprit für den Weg zur Arbeit, aber auch Wohnung und Heizung.