Vorbilder

Baden-Württemberg ist voller Vorbilder zum Thema Resilienz. Ein paar von ihnen stellen wir auf dieser Seite vor.

Sabine Fischer
Lesedauer: 4 Minuten

Hoffnung geben

Für Martina Rudolph-Zeller geht es um Hoffnung. 13.000 Mal standen die Leiterin der Telefonseelsorge Stuttgart und ihr Team im vergangenen Jahr Menschen vertraulich bei. Menschen, die bei Angst, Depressionen, Einsamkeit oder familiären Konflikten Rat suchten. Besonders gestiegen ist die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen, die in akuten Krisen anrufen. Um in solchen Situationen helfen zu können, ist es für Martina Rudolph-Zeller wichtig, aufmerksam zuzuhören, um zu verstehen, wie sie den Anrufenden wieder Hoffnung geben kann: „Oft erzählen die Menschen beiläufig von Stärken, die für sie selbst untergehen. Wir hören genau hin und versuchen, ihnen diese Stärken aufzuzeigen.  Die meisten, die bei uns anrufen, sehen das Licht am Ende des Tunnels nicht.“ Damit sie und ihr ehrenamtliches Team selbst die Balance behalten, tauschen sie sich regelmäßig aus, schaffen bewusst Räume, um zur Ruhe zu kommen. Martina Rudolph-Zeller findet Ausgleich in der Natur oder mit ihrer Familie.

„Es gibt immer Hoffnung – auch in der größten Krise. Das möchten wir bei der Telefonseelsorge den Anrufenden vermitteln. Es ist ein Geschenk für mich, dass Menschen uns ihr Vertrauen entgegenbringen.“
Martina Rudolph-Zeller (62)

Tabus überwinden

Männer weinen nicht. So lautet das Credo, mit dem Tafadzwa Vincent Zireva in Simbabwe aufgewachsen ist: „Über seine Probleme zu sprechen, wird bei uns als Schwäche verurteilt.“ Dieses Tabu zu überwinden, war für ihn ein großer Schritt in Richtung Zukunft. Denn nach seinem Abschluss an der University of Zimbabwe sah sich Vincent Zireva mit schwierigen Aussichten konfrontiert: Jugendarbeitslosigkeit und Armut sind in seinem Heimatland seit der Pandemie auf einem Rekordhoch.

„Diese Situation hat mich innerlich aufgefressen. Nur dank enger Freunde, die ich ins Vertrauen ziehen konnte, habe ich es aus diesem Tal geschafft.“ Kommunikation und Austausch sind für Vincent Zireva die Schlüssel zu mehr Resilienz. Nach intensiver Recherche bewarb er sich um das Baden-Württemberg-STIPENDIUM – und bekam eine Zusage. Heute studiert er paläolithische Archäologie im Masterstudiengang an der Uni Tübingen und hat ein ehrgeiziges Ziel vor Augen: „Ich möchte der beste Forscher auf meinem Gebiet werden und meinen Doktor in Tübingen machen.“
 

„Wenn man nicht Anwalt oder Unternehmer ist, hat man in meinem Heimatland wenig Chancen. Mein Traum ist die Forschung. Es hat viel Kraft gekostet, daran zu glauben, obwohl mir immer wieder gesagt wurde, dass dieser Weg keine Zukunft hat.“
Tafadzwa Vincent Zireva

Intelligent ernten

Stress und Burnout sind in Landwirtsfamilien ein großes Thema, weiß Konni Biegert vom Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee in Ravensburg. Neben einem harten Preiskampf mache ihnen vor allem der Klimawandel zu schaffen: „Das Wetter verändert sich. Die Sonnenscheindauer steigt und auch die Feucht- und Trockenphasen sind anders verteilt als früher“, sagt die promovierte Agrarwissenschaftlerin. Mit dem Projekt „Lichtapfel“, das die Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen des Programms Klimaresilienz in der Forst- und Landwirtschaft fördert, möchte sie Obstbauern beim Apfelanbau für diese Veränderungen wappnen. Die Idee: Optische Sensoren messen den Wasserstress der Bäume, den Reifegrad der Früchte und den Fruchtfall. Mit klassischer Statistik und KI-Methoden werden die Daten analysiert. Das soll Obstbauern helfen, gute Entscheidungen zu treffen, etwa über Bewässerung oder Erntezeitpunkt. Der Wunsch nach einem solchen System ist groß: „Wir sind ständig im Austausch mit den Obstbauern und sie hätten es lieber heute als morgen“, sagt Konni Biegert.

„Ich komme selbst aus einer Landwirtsfamilie. Die Unsicherheit, die der Klimawandel für Landwirte mit sich bringt, beschäftigt mich. Mit meiner Forschung möchte ich Obstbauern helfen, resilienter zu werden.“

Konni Biegert (35)

Viren aufhalten

Thanigaimalai Pillaiyar will Leben retten. Schon immer ist es dem Forscher, der sich auf Infektionen und Viruserkrankungen spezialisiert hat, wichtig, dass seine Arbeit nicht nur in Fachzeitschriften thematisiert wird, sondern etwas im Leben der Menschen bewirkt. Während der Corona-Pandemie arbeitete er an der Entschlüsselung des Virus, der nächsten Pandemie will er einen Schritt voraus sein: Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er an der Universität Tübingen Medikamente, die Menschen resilienter gegen Viruserkrankungen machen sollen. Die Baden-Württemberg Stiftung fördert das Projekt im Programm Antivirale Therapien. So können die Forscher an Therapieansätzen arbeiten, die gegen eine große Bandbreite an Viren helfen und zudem Mechanismen der Wirtszellen entgegenwirken, um Resistenzen vorzubeugen. Damit sollen sich aktuelle Infektionen besser behandeln und zukünftige Pandemien schneller eindämmen lassen.

„Wir hatten in den vergangenen 30 Jahren drei große Pandemien – die nächste kommt bestimmt. Ich will meinen Beitrag leisten, dass wir vorbereitet sind.“

Thanigaimalai Pillaiyar (39)

Sicherheit geben

Sönke Müller ist sich sicher: „Irgendwo in meiner DNA blinkt ein kleines Blaulicht. Der Beruf gibt mir einfach Kraft.“ Seit 1986 ist er als aktiver Notarzt unterwegs. Rund 350 Mal im Jahr werden Müller und seine drei Kollegen im Rhein-Neckar-Kreis zu Notarzteinsätzen gerufen. Am häufigsten treffen sie dabei auf Menschen, die mit Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall ins Krankenhaus müssen. Doch auch bei psychischen Krisen werde immer öfter ein Notarzt gebraucht, sagt Sönke Müller. Für ihn ist es besonders wichtig, den Menschen Sicherheit zu geben – egal, mit welchem Anliegen sie den Notruf gewählt haben. Er weiß: Für die Patientinnen und Patienten ist sein Besuch eine Ausnahmesituation. „Wenn ich Hilfe brauche, möchte ich, dass jemand kommt, der keine Angst davor hat, zu helfen“, sagt er. Deshalb strahlt er bewusst Ruhe aus – auch, wenn er sie in manchen Situationen selbst nicht fühlt. Doch dank seiner Berufserfahrung bewahrt er auch dann einen kühlen Kopf, wenn die Lage vor Ort kritisch wird.

„Tagsüber arbeite ich als Internist, nachts bin ich Notarzt: Mir wird sicherlich nicht langweilig. Selbst nach all den Jahren mag ich die Unberechenbarkeit des Jobs: Einen typischen Berufsalltag gibt es nicht.“

Sönke Müller (65)

Aufmerksamkeit schenken

Der Tod stehe gar nicht ständig im Mittelpunkt, sagt Waltraud Ertle. Seit zwölf Jahren begleitet sie ehrenamtlich Menschen in ihren letzten Stunden. Für das Hospiz Ulm schenkt sie sterbenden Personen in Seniorenheimen, Privathaushalten oder Kliniken regelmäßig Nähe und Aufmerksamkeit. Dabei sei es wichtig, den Menschen genau das zu geben, was sie gerade bräuchten. Ertle hat gelernt, auf ihre Intuition zu hören. „Oft sind die Personen nicht mehr ansprechbar und ich versuche zu spüren, wie ich ihnen am besten beistehen kann.“ Mal sitzt sie dann stumm neben einer Person und strickt, mal hält sie ihre Hand, mal bleibt sie auf Abstand. Den Moment des Todeseintritts eines Menschen habe sie rund zehn Mal miterlebt. „Für mich ist dieser Moment kein Schreckgespenst und ich erlebe den Sterbeprozess nicht als etwas Schlimmes. Oft freue ich mich darüber, wenn eine Person loslassen kann“, sagt sie. Waltraud Ertle gibt ihr Engagement viel Kraft – und sie empfindet es als Privileg.

„Die Sterbebegleitung hat meine eigene Resilienz verbessert: Nur wenn es mir gut geht, kann ich Ruhe und Fürsorge für Sterbende aufbringen. Deshalb achte ich bewusster auf mich als früher.“

Waltraud Ertle (52)

Fehler erkennen

Die Schwäbische Alb ist eine traditionelle Hochburg der Textilindustrie. Hier entdeckte Marie Weedermann ihre Leidenschaft für Mode, hier studierte sie Textil- und Bekleidungsmanagement – und hier beschäftigte sie eine Frage: Wie macht man diese Industrie fit für die Zukunft? Zusammen mit Kommilitonin Janine Weigele entwickelte sie eine Idee: digitale Qualitätskontrolle an der Nähmaschine. Eine Kamera überwacht die Stichbildung und erkennt Nahtfehler in Echtzeit mithilfe künstlicher Intelligenz. So entsteht weniger Ausschuss, die Produktion wird effizienter und nachhaltiger. Unterstützt vom Programm KI-Garage der Baden-Württemberg Stiftung formten Weedermann und Weigele das Start-up Faibrics, um die Entwicklung ihres Produkts voranzutreiben. Wichtig sind dabei nicht nur belastbare Textilien, sondern auch ein belastbares Team. „Das Start-up-Leben ist eine Achterbahnfahrt, wir müssen gut auf uns achten“, sagt Weedermann. Deshalb gibt es bei Faibrics regelmäßige Auszeiten, um die mentale Balance zu stärken: Jeden Monat tut sich das Team etwas Gutes – von Meditationen bis zum gemeinsamen Podcast-Hören.

„Bisher sind die Strukturen in der Textilindustrie eher traditionell und konservativ. Um als junges Start­up etwas zu verändern, braucht man viel Durchhaltevermögen.“

Marie Weedermann (27)

Unwettern trotzen

Hitze, Starkregen, Hagel: Der Klimawandel setzt der Landwirtschaft zu. Birger Zimmermann und sein Team sind entschlossen, etwas dagegen zu tun – mit einer innovativen Idee: Am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg entwickeln sie hochtransparente Solarzellen, die in Foliendächer integriert werden. Die Folien schützen Pflanzen vor Wettereinwirkungen und produzieren gleichzeitig Solarstrom. „Ein Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel – und zu seiner Eindämmung“, erklärt Birger Zimmermann. Das Projekt, das die Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen des Programms Innovationen zur Anpassung an den Klimawandel fördert, kommt gut an: „Von Landwirtinnen und Landwirten bekommen wir positives Feedback“, sagt Birger Zimmermann. Mühelos ist sein Engagement jedoch keineswegs – die Entwicklung einer solchen Innovation sei oft auch frustrierend, wenn Versuche fehlschlagen oder Projekte abgelehnt würden. Dennoch gibt er nicht auf: „Unsere Forschung und der Austausch mit Menschen aus der Landwirtschaft zeigen mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

„Die Angst vor Veränderung ist oft groß: Aber wir können den Klimawandel nicht ignorieren und müssen dafür kämpfen, ihn aufzuhalten.“

Birger Zimmermann (46)