Resilienz bei Kindern

Kinder sind im Alltag oft enormen Belastungen ausgesetzt. Wie viel Sorgen müssen wir uns um ihre psychische Gesundheit machen? Wie lernen sie, mit schwierigen Situationen umzugehen – und wie können Eltern ihre Kinder dabei unterstützen? Ein Gespräch mit Luise Poustka, Ärztliche Direktorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg.

Nora Chin
Lesedauer: 4 Minuten

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Frau Poustka, was belastet Kinder heutzutage am meisten?
 

LUISE POUSTKA Aktuell wirkt die Pandemie noch deutlich nach, vor allem bei Jugendlichen. Wir können beobachten, dass die Isolation und der Verlust sozialer Kontakte zu einem Anstieg von Angststörungen, Depressionen und Essstörungen geführt haben, insbesondere bei Mädchen. Jungen haben eher mit Problemen wie Adipositas, also starkem Übergewicht, zu kämpfen, weil sie sich in dieser Zeit weniger bewegt haben. Hinzu kommen weitere Herausforderungen wie die Nachrichtenlage: Klimawandel, Ukraine­Krieg, der Konflikt in Gaza. Das sind Themen, die – auch in der Abfolge und in der Dichte – die Kinder sehr stark beschäftigen. Darüber hinaus gibt es die klassischen Belastungsfaktoren: psychische Erkrankungen der Eltern, Armut, Krankheit, Verlust von engen Bezugspersonen sowie Erfahrungen von Missbrauch und Misshandlung, einschließlich Mobbing. Je mehr solcher Herausforderungen zusammenkommen, desto gravierender wirken sie sich auf die psychische Gesundheit aus.

Wie können Kinder von klein auf einen gesunden Umgang mit solchen Herausforderungen lernen?

LP Wir kennen eine Reihe von Schutz­ und Resilienzfaktoren, die entscheidend sind für die Widerstandsfähigkeit von Kindern. Sie sind ja noch in der Entwicklung begriffen und darum auch von ihrem Umfeld stärker abhängig als Erwachsene. So spielen stabile familiäre Bindungen und positive Beziehungen zu Erwachsenen außerhalb der Kernfamilie eine wichtige Rolle. Auch das Vorhandensein von Ressourcen wie Hobbys führt dazu, dass Kinder besser in der Lage sind, mit belastenden Situationen umzugehen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die soziale Attraktivität. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Beziehungen aufzubauen und sich in Gemeinschaften zu etablieren.

Woran erkenne ich, ob mein Kind resilient ist?

LP Resilienz zeigt sich etwa daran, dass ein Kind konstruktiv mit Misserfolgen umgeht. Wenn zum Beispiel trotz vielen Lernens eine schlechte Note rauskommt, ist jedes Kind erstmal schlecht gelaunt. Aber manche kommen gar nicht mehr aus der Krise heraus, während andere anfangen, zu überlegen: Habe ich Klassenkameraden, die mir helfen können? Wie können meine Eltern mich unterstützen? Resiliente Kinder fühlen sich nicht hilflos, sie finden selbst Lösungen und sie haben ein starkes Gefühl der Selbstwirksamkeit. Sie glauben daran, dass ihre Handlungen eine Wirkung haben und dass sie in der Lage sind, ihr Leben zu beeinflussen.

Wie können Eltern ihre Kinder konkret dabei unterstützen?


LP Eltern, die die Resilienz ihrer Kinder stärken, zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, ihre Kinder einfühlsam zu begleiten. Dabei geht es nicht darum, alles gutzuheißen, was die Kinder tun, oder alle Probleme aus dem Weg zu räumen. Vielmehr bedeutet es, die Kinder zu fordern, klare Erwartungen zu formulieren und Strukturen zu schaffen, in denen sich die Kinder sicher und unterstützt fühlen. Es ist also wichtig, dass die Kinder wissen, was von ihnen erwartet wird, während sie gleichzeitig Wärme und Empathie zu spüren bekommen. Das hilft auch bei Misserfolgen, bei denen Eltern versuchen sollten, gemeinsam mit ihren Kindern Lösungen zu erarbeiten. So lernen sie auch für die Zukunft, wie man aus schwierigen Situationen wieder herausfindet.

Eine schwierige Situation für Kinder, der Sie sich an der Uniklinik Heidelberg widmen, ist Mobbing. Welche Folgen hat Mobbing für Betroffene?

LP Mobbing ist eine Form der systematischen und wiederholten Misshandlung, die darauf abzielt, eine Person zu verletzen oder zu demütigen. Mobbing kann schwere psychische Erkrankungen hervorrufen. Der anhaltende Stress kann zudem die Ausbildung von Exekutivfunktionen beeinträchtigen, das heißt, die Fähigkeiten zum Planen oder zum strategischen Denken. Aus diesem Grund haben wir und die Baden­Württemberg Stiftung das Programm Mobbing&Du ins Leben gerufen

Nicht depressiv werden
Natürlich kann auch der Einzelne lernen, mit seinem „Negativity Bias“ umzugehen: Wurmb-Seibel hält es für durchaus möglich, politisch informiert zu bleiben, ohne ständig niedergeschlagen zu sein. Statt Schlagzeilen und Push-Nachrichten liest sie ausgewählte Hintergrundanalysen, Berichte und Sachbücher zur Klimakrise, zu Rassismus oder sozialer Ungleichheit.

Wurmb-Seibel betont in einem Interview mit dem Portal web.de aber auch, was für ein Privileg es ist, „Nachrichten zu haben und auch die Wahl zu haben, sie auszuschalten“. In vielen Ländern gebe es die Pressefreiheit und all die Informationen nicht. „Gleichzeitig heißt dieses Privileg nicht, dass wir zehn Stunden am Tag mitleiden sollten.“ Nicht, weil Mitgefühl schlecht sei, sondern weil das niemandem etwas bringe, erklärt sie: „Solidarität und Unterstützung können wir nur leisten, wenn wir selbst stabil sind.“
 

Was tun gegen Fake News und digitalen Stress? Fünf Tipps vom Vocer Institut für Digitale Resilienz

Kontrollieren Sie auf Ihrem Smartphone regelmäßig Ihre digitale Bildschirmzeit. Stellen Sie diese den Tätigkeiten gegenüber, für die Sie beruflich oder privat gerne mehr Ihrer wertvollen Zeit aufbringen würden.

 

Bleiben Sie selbstbestimmt. Stellen Sie das Smartphone auf lautlos, deaktivieren Sie alle Push-Nachrichten und den Vibrationsalarm.

Befreien Sie sich vom suchtartigen Checken von Nachrichten- und Social-Media-Apps. Nutzen Sie Nachrichtenmedien nur ein- bis zweimal am Tag zu festen Zeiten, um sich auf den aktuellen Stand zu bringen: zum Beispiel morgens und abends, je 20 Minuten. Oder Sie setzen sich eine maximale Anzahl an Artikeln oder Videos pro Tag.

Trennen Sie sich von Zeitfressern, die Sie nicht brauchen: zum Beispiel Apps, die Ihnen im Alltag keinen echten Mehrwert bieten. Wer sich von (einigen) Social­Media­Anwendungen trennen kann, wird überrascht feststellen: „Mir fehlt nichts.“

In den Einstellungen Ihres Smartphones können Sie Ihre Bildschirmanzeige auf Schwarz­Weiß oder Graustufen umschalten. Es ist verblüffend, wie viel geringer das eigene Suchtverhalten ist, wenn Signalfarben wegbleiben.

Mehr Tipps unter: www.digitale-resilienz.org

Louise Poustka

Luise Poustka studierte Schauspiel und Regie an der Universität Wien sowie Medizin an der Universität Heidelberg. Sie war unter anderem leitende Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Seit vergangenem Jahr hat sie den Posten der Ärztlichen Direktorin in Heidelberg inne. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie.